Schönheit erweitern

Markierung der Differenz: Das Konzept „Black Style“. Ein Reader zur Mode der schwarzen Diaspora in Amerika, Großbritannien und Westafrika

Das aristokratisch geprägte England maß der äußeren Erscheinung schon immer einen großen Stellenwert bei. Deshalb meint der Begriff Style mehr als das, was im Deutschen „Stil“ heißt. Kobena Mercer, Professorin für Visuelle Kultur und Medien an der Middlesex University, stellt fest: „Das Konzept Style hat eine ambivalente Geschichte […] Weil es sich eher mit den formalen und expressiven Aspekten von Kommunikation beschäftigt als mit dem materiellen Substrat oder Medium, befindet sich ‚Style‘ im Herzen der Klassifizierungen und Kategorisierungen, die einen Künstler, eine Bewegung oder eine Zeit von einander unterscheiden.“ Diesen Stil oder besser die Haltung einer Bevölkerungsgruppe, die in ihrer äußeren Erscheinung schon als das andere nicht nur kategorisiert, sondern leider oft auch klassifiziert ist, analysiert das Buch „Black Style“.

Für die schwarze Bevölkerung Großbritanniens und Nordamerikas besaßen Kleidung und Frisur stets auch eine strategische Komponente. Style politics war für sie ein wichtiges Instrument zur Aufrechterhaltung der persönlichen Würde und der kulturellen Identität in einer rassistischen oder diskriminierenden Gesellschaft. Das von der Modehistorikerin Carol Tulloch herausgegebene Buch „Black Style“ begleitet die Ausstellung „Black British Style“, die momentan im Londoner Victoria & Albert Museum läuft. Dafür suchte sie Themen, die interessante Schlaglichter auf den Kleiderfundus der kulturellen Differenz werfen: Textildesign in Westafrika, afroamerikanische Kleidungsimprovisation und jamaikanische Dancehall-Mode. Trotzdem erweitern die verschiedenen, thematisch so diversen Essays das Verständnis von Schönheit jenseits des nach wie vor gesellschaftlich privilegierten Melanindefizits, wie Carolyn Cooper den Status der Hautfarbe, der dunkle Farbstoffe fehlen, neu benennt.

Die schwarze Diaspora Amerikas, Großbritanniens und ihrer Übersee-Departments in der Karibik hat ihre Wurzeln hauptsächlich in Westafrika. Mit der Ausbeutung der Küstenregionen zwischen den Mündungen des Senegals und des Nigers in den Atlantischen Ozean begann die Sklaverei. Die deportierten Menschen besaßen als materielle Erinnerung an ihre Heimat oft lediglich das Kleidungsstück, das sie am Körper trugen. Der Afrikanist John Picton beleuchtet in seinem Text den Zusammenhang von westafrikanischem Textilhandwerk, Kleidung und Selbstrepräsentation. Die Tatsache, dass afrikanische Kleidung aufgrund ihres Schnitts aktiv getragen werden muss im Gegensatz zu europäischer Kleidung, die so geschnitten ist, dass sie sich selbst trägt, führt somit zu einem kinästhetischen Trageverhalten, das Picton als Grundlage eines afrikanischen Verständnisses des Sichkleidens versteht.

Die Genderwissenschaftlerin Susan Kaiser und ihre Koautorinnen untersuchen die historische Entwicklung des afroamerikanischen Stils. Das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit nimmt da traditionell einen wichtigen Stellenwert in der Erziehung ein. Während zur Zeit der amerikanischen Apartheid besonders auf Zugehörigkeit zum etablierten Kleidungskanon geachtet wurde, wuchs mit dem steigenden Selbstwertgefühl auch der Mut zur Betonung des Afrikanischen. So machte die Bürgerrechtlerin Angela Davis den „Afrolook“ zum Bekenntnis ihres politischen Protests. Improvisierte Veränderungen an der gekauften Kleidung und die bewusste Differenzierung vom Modediktat verdeutlichen den gewonnenen Selbstrespekt. Speziell die Musik kreierte soziale Räume, in denen die Kleidungsstile präsentiert werden. Von hier aus beeinflusst schwarze Mode im Gegenzug den dominanten Kleidungsmarkt, wie etwa der HipHop-Style oder Sports- und Streetwear zeigen.

Eine besondere Variante schwarzer Mode erläutert die jamaikanische Kulturwissenschaftlerin Carolyn Cooper. Zum Besuch der Reggaeclubs ihrer Heimat ist es weiblicher Brauch, sich besonders auffällig und sexuell aufgeladen zu kleiden. Die theatralische Aufmachung ist jedoch nicht als vulgäres Auftakeln zu verstehen, sondern als der Situation angemessen. Denn im Soziotop der Dancehall fungiert das Outfit gleichzeitig als kraftvolle Markierung der eigenen Sexualität und als exhibitionistische Verkleidung.

Leider gelingt es Tulloch letztlich nicht, die durchweg gelungenen Texte zu einem homogenen Ganzen zusammenzufügen. Das mag auch an den beliebig wirkenden Fotografien liegen, die den Band illustrieren. Mit seinen zahlreichen Literaturvorschlägen macht das Buch aber Lust, weiterzulesen und den Geheimnissen des „Black Style“ nachzuspüren. MARCUS WOELLER

Carol Tulloch (Hrsg.): „Black Style“. V & A Publications, London 2004, 128 Seiten, 20 Pfund