Mit angezogener Handbremse

Das Pixar-Studio läuft dem Superheldengenre hinterher: Brad Birds Animationsfilm „Die Unglaublichen“ gewinnt seinen Protagonisten, den guten wie den bösen, nur ein Format ab, das leider gerade noch für eine Nachmittags-Talkshow mit dem Titel „Ich bin super, aber keiner glaubt mir“ ausreicht

VON MARTIN ZEYN

Eine ganz normale Familie. Der Vater liest Zeitung und hört nicht zu, wenn die Mutter von den Schulproblemen der Kinder erzählt. Der Junge muss zum Rektor, weil er den Unterricht stört, und seine pubertierende Schwester leidet unter Minderwertigkeitsgefühlen. Und doch keine normale Familie, da jedes Mitglied übermenschliche Fähigkeiten hat. Aber die Superhelden sind außer Dienst gestellt, denn gegen Schadensersatzklagen – bei Rettungseinsätzen sind Zerstörungen unvermeidlich – helfen keine Superkräfte.

Aus dem Helden Mr. Incredible wird also ein Angestellter bei einer Versicherungsfirma. Seit „True Lies“ kennen wir die Absurditäten, die sich aus so einem Mischmasch aus Verstellung und Echtem ergeben. Tja, und dann gibt es natürlich noch einen Bösen, der nach und nach alle Superhelden ermordet, weil er an ihrer Stelle die Welt vor einem wild gewordenen Kampfroboter retten will – den er in Wirklichkeit mit einer Fernbedienung beherrscht –, um so von allen wie ein echter Held geliebt zu werden. Nun müssen Zeichentrickfiguren nicht glaubwürdig sein, sie sollten aber wenigstens monströs komisch agieren. Dieser Böse aber hat ein Format, das gerade noch für eine Nachmittags-Talkshow mit dem Titel „Ich bin super, aber keiner glaubt mir“ ausreicht. Gute Geschichten entwickeln sich nicht aus solcher Küchenpsychologie.

Statt Trends zu setzen, läuft das Pixar-Studio hier einem hinterher: dem allgegenwärtigen und schon etwas komisch riechenden Superheldengenre. Nach den hinreißenden „Findet Nemo“ und „Monster AG“ ist ein solches Eingeständnis schmerzhaft. „Die Unglaublichen“ können sich nicht entscheiden, was sie sein wollen: eine Superheldenpersiflage mit Zitaten von Bond bis „Star Wars“, ein Adoleszenzdrama oder ein wertkonservativer Film für die ganze Familie. Er ist dabei nicht nur von allem etwas, was schon schlimm genug wäre, sondern er konterkariert sich selbst. Batman oder Superman töten nicht. In „Die Unglaublichen“ sind Tote aber Kollateralschäden. Die Altersbeschränkung ab sechs Jahre gäbe es für keinen Realfilm, in dem der Böse von einer Flugzeugturbine eingezogen wird. Gerade noch erspart uns der Regisseur Brad Bird Blutspritzer und menschliches Haschee. Gewalt ist hier nicht etwas zutiefst Erschütterndes (wie in „Prinzessin Mononoke“ von Haoyo Miyazake) oder etwas Chaotisch Groteskes (wie bei Tex Avery), sondern steht für sich, ist Action.

Der Regisseur verzichtet auf das Grundmotiv aller Superhelden: Schuld. Da sie letztlich nicht besiegt werden dürfen, muss etwas anderes die Geschichte antreiben. Kein Superheld ist auf Dauer spannend ohne eine psychische Deformation. In „Die Unglaublichen“ ist es eine Schadensersatzklage und keine Katastrophe, die die Superhelden zwingt, abzutreten. Das ist ein hübscher kleiner Witz, dramaturgisch aber bleibt das zutiefst unbefriedigend. So sind die Superhelden die schwächsten aller bisherigen Pixar-Helden.

Der neue Film des Studios krankt an einem weiteren, grundsätzlicheren Mangel: Ein zentrales Faszinosum am Animationsfilm ist die Darstellung des Unmöglichen. Dabei muss es nicht unbedingt larger than life sein, unbedingt aber seltsamer. Wenn in „Pinocchio“ eine Luftblase unter Wasser langsam voll läuft, dann sieht es nicht nur komisch aus, sondern treibt Schabernack mit der Physik. Solche Sequenzen unterlaufen, was Gilles Deleuze einmal „die amerikanischen Beschränkungen des Aktionsbildes“ genannt hat, den zähen Zwang zum Objektiven sowie die Bevorzugung der Dynamik. Kein Genre ist dafür besser geeignet als Zeichentrickfilme, denn sie müssen sich auf keine Realien zurückziehen, sie sind genuin Erfindungen.

Die Unterwasserwelt von „Findet Nemo“ oder das belebte Kinderzimmer in „Toy Story“ sind insofern prädestiniert als Sujets. Auf den ersten Blick sollte das auch ein Superheld sein. Aber das täuscht. Zentraler Bestandteil aller Superheldenfilme sind von jeher die animierten Sequenzen. Wir sind auch im Realfilm fliegende Menschen und enorme Kraft gewöhnt. „Die Unglaublichen“ wirkt daher allzu oft wie ein Zitat des Längstgesehenen, ist Animationsanimation. Nur eine Szene bleibt nachhaltig in Erinnerung. Das Geheimquartier des Widersachers liegt hinter einer Wand verborgen – aus glühender Lava. Als Papa Incredible hindurchschlüpft, ist die Hitze quasi zu spüren. Nur ein waghalsiger Sprung rettet den Helden – und die Betrachter.

Aber diese Poesie aus der Materialität, dieser Rausch an sensuellen und motorischen Erfahrungen bleiben eine Ausnahme. Statt auf die Augen und die Verzauberung setzen „Die Unglaublichen“ auf Slapstick. Wenn auch ein Slapstick mit angezogener Handbremse, eine Schwäche, die bei vielen aktuellen Zeichentrickproduktionen zu beobachten ist. Statt eines „maßlosen Überspannens“, um noch einmal Deleuze zu zitieren, in dem sich „Überschneidungen und Zusammenstöße ihrer unabhängigen Kausalserien häufen“, also statt eines entfesselten Chaos, das über die Helden hereinbricht und dem sie unerwartet entkommen, werden die Zuschauer allzu kurz an einer Kette von Anspielungen auf andere Filme gehalten. Metaebenen funktionieren aber nur mit einem soliden Unterbau, bei Marx wie im Kino.

„Die Unglaublichen“. Regie: Brad Bird. USA 2004, 115 Min.