Arbeitsminister gegen Mindestlohn

Der Niedriglohnsektor existiert längst auch in NRW. Doch der sozialdemokratische Wirtschafts- und Arbeitsminister Harald Schartau lehnt jede gesetzliche Regelung ab – er fürchtet um die Billigjobs

AUS DÜSSELDORFANDREAS WYPUTTA

Der Vollzeitjob reicht kaum zum Leben: Auch in Nordrhein-Westfalen ist dies längst gesellschaftliche Realität. 47 Branchen zahlen trotz abgeschlossener Tarifverträge weniger als 1.300 Euro monatlich, musste Harald Schartau, SPD-Landesminister für Wirtschaft und Arbeit, gestern in Düsseldorf einräumen. Erstmals hat sein Haus einen Tarifspiegel im Niedriglohnsektor aufgestellt – und der weist nicht nur ungelernte Tätigkeit aus, in denen weniger als schlecht bezahlt wird: Vollzeit-Hilfskräfte im Friseurhandwerk kommen demnach auf gerade einmal 793 Euro monatlich, im Erwerbsgartenbau werden nur 977 Euro gezahlt. Doch auch eine abgeschlossene Berufsausbildung schützt nicht vor vor einem miesem Gehalt: So erhält eine gelernte Tierarzthelferin 1.276 Euro im Monat – brutto, versteht sich.

Die von Teilen der CDU, besonders aber von der FDP geforderte Schaffung eines Niedriglohnsektors sei angesichts dieser Zahlen absurd, findet Schartau: „Wir haben bereits niedrige Löhne.“ Eine weitere Abwärtsspirale dürfe es nicht geben, warnt der Minister: „Wer diese Löhne noch unterschreiten will, muss sehr gute Argumente haben.“

Dennoch lehnt Schartau die gesetzliche Regelung eines Mindestlohns ab. „Ich fürchte, viele Jobs wären dann weg“, sagt der ehemalige Gewerkschaftssekretär. Unterstützung bekommt der Minister dabei vom nordrhein-westfälischen DGB. „In Zeiten der Globalisierung muss man branchen-, ja sogar betriebsspezifisch differenzieren“, sagt Nicola Hirsch, Leiterin der Abteilung Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Wichtiger als ein Mindestlohn sei eine Abmilderung der so genannten Dienstleistungsrichtlinie der Europäischen Union, die im kommenden Herbst zur Entscheidung ansteht. Mit Unterstützung von Kanzler Gerhard Schröder und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (beide SPD) soll künftig nicht mehr das Gast- sondern das Herkunftslandprinzip gelten: Arbeitskräfte etwa aus Staaten mit geringem Lohnniveau könnten in Deutschland tätig sein – zu den Bedingungen ihrer Heimatländer. „Wichtig ist, dass hier lebende Arbeitnehmer nicht gezwungen werden, auf dem Papier etwa nach Portugal umziehen zu müssen“, sorgt sich auch Schartau.

Unumstritten ist die Ablehnung des Mindestlohns aber auch innerhalb des DGB nicht. Wie Verdi fordern auch die Gastronomie-Gewerkschaft NGG und die IG Bau eine gesetzliche Regelung. „Wir brauchen einen Mindestlohn für alle, die hier leben“, sagt Jürgen Glaubitz, Abteilungsleiter Wirtschafts- und Strukturpolitik des Verdi-Bezirks NRW. Die auch innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion stark umkämpfte Frage dürfte spätestens nach einer gewerkschaftsinternen Einigung wieder aufflammen, weiß auch Schartau: „Die Diskussion geht weiter.“