Ketchup spielt eine Rolle

Dreiecksgeschichten mit denkenden Männern: In „Young Adam“ gibt Ewan McGregor den „Angry Young Man“, in „Ein Zuhause am Ende der Welt“ versucht Colin Farrell, seine sensible Seite zu zeigen

VON PHILIPP BÜHLER

Was macht eigentlich der denkende Mann? Oder besser: Was macht man mit ihm, wenn man ihn zum Beispiel in einem passenden Film zu besetzen sucht? Es ist eine Frage, die Castingagenturen, derzeit zu einem großen Teil weiblich besetzt, mächtig umtreibt. Laut New York Times hat sich die Sache bald erledigt. „Sensible Typen“ wie Tobey Maguire (29, „Spider Man“) oder Jake Gyllenhaal (23, „The Day After Tomorrow“) würden gerade neu definieren, „wie ein männlicher Filmstar aussehen soll“. Tatsächlich ist damit nur eines entschieden: der Dustin-Hoffman-Look-Alike-Contest für ewige Jünglinge. Was geschieht mit dem Rest?

Ewan McGregor (33, immer noch „Trainspotting“) ist ein fast schon hoffnungsloser Fall. Er kann alles spielen, von James Joyce bis Obi-Wan Kenobi, aber die prägende Rolle hat er noch nicht gefunden. Roger Moore hat ihn als James Bond vorgeschlagen. Das wäre der Todeskuss. Verloren ginge dabei ein Mann, der als legitimer Nachfolger Albert Finneys die Fackel britischer Schauspieltradition weitertragen sollte. Genau das muss sich David Mackenzie gedacht haben, als er McGregor für „Young Adam“ erwählte. Die Mordromanze wurde in den 50ern geschrieben, vom schottischen Beat-Poeten Alexander Throcci. Sie spielt auch in dieser Zeit, und der Held Joe (McGregor) ist kein sensibler Typ, sondern ein klassischer angry young man. Mit einem Skipper (Peter Mullen) und dessen Frau (Tilda Swinton) arbeitet er auf einem Kohlenkahn, den River Clyde immer auf und ab. Auf Deck dreht der Alte am Steuerrad, unter Deck der Junge an den Nippeln der Gattin. Das ist schon recht düster inszeniert, aber es kommt noch härter. Die Leiche einer jungen Frau wurde an Land gespült, und es verdichten sich die Hinweise, dass Joe etwas mit ihrem Tod zu tun hat (an Land führt er eine Art Doppelleben als poet maudit und hat Sex unter verrosteten Lastwagen).

Mackenzie will gar nicht in die Mottenkiste greifen. Satte Farben, komplexe Rückblenden, souveräne Close-ups von zupackenden Händen und zitternden Schenkeln: „Young Adam“ ist ein lyrisch verrätselter, vor allem aber moderner Film, der mit dem angestaubten Look des britischen Nachkriegskinos nichts zu tun haben will. Er zitiert nur, und zwar quer durch die Filmgeschichte, von Tony Richardsons „A Taste of Honey“ bis zurück zu Jean Vigos „L’Atalante“. Dass die poetische Bootsfahrt dadurch in blanken Narzissmus ausartet, passt gewissermaßen zur Hauptfigur. Joes sexuelle Unrast hat keinen äußeren Halt, auch die Frauen sind nur die notwendige Beigabe seiner stolzen Existenz. McGregor verkörpert diese Unrast, sein Markenzeichen, allein durch sein perfektes Mienenspiel mit so viel Intelligenz wie Charisma. Aber worauf gründet Joes Wille zu Verführung und Zerstörung? Warum der Blick zurück im Zorn? Die zur Kunst erhobene Ratlosigkeit gipfelt in einer bewusst zwiespältig gehaltenen Sexszene, der „Der letzte Tango in Paris“ Pate stand. Es könnte sich auch um eine Vergewaltigung handeln. Sicher lässt sich nur sagen, dass Ketchup dabei eine Rolle spielt.

Einen verkorksten Antihelden, eine Dreiecksgeschichte in uralter Zeit und viel Sex hat „Young Adam“ mit einem anderen Neustart gemeinsam. Hier richtet sich der Fokus auf Colin Farrell (28, demnächst als „Alexander“ unterwegs). In Hollywood gilt er als harter Bursche. Aber an der Seite von Bruce Willis oder Samuel L. Jackson gab er doch stets den nachdenklicheren Part. Dieser Mann will eigentlich keine Action. Er will seine sensible Seite zeigen in Filmen wie „Ein Zuhause am Ende der Welt“.

Die Einzelgängergeschichte verbindet Motive des amerikanischen Independentfilms mit dem epischen Erzählen New Hollywoods. In den Sechzigern verliert der kleine Bobby seine gesamte Familie. Doch die Angst vor dem Alleinsein verleiht ihm magische Kräfte. Keiner vermag sich seiner naiven Zärtlichkeit zu entziehen. Nicht sein Freund Jonathan, mit dem er abends unter der Bettdecke fummelt; nicht Jonathans Mutter (Sissy Spacek), die er in einer wirklich großartigen Szene zum ersten Joint verführt. Es ist nicht so, dass sich Bobby hier eine libidinöse Form der Ersatzfamilie erschließen will. Es geschieht einfach. In den 80er-Jahren wiederholt sich das Spiel. Bobby (erst jetzt Farrell) zieht nach New York und begegnet Jonathan (Dallas Roberts) wieder, der mittlerweile sein Coming-out hatte und mit der Punkerin Claire (Robin Wright Penn) zusammenlebt. Eine asexuelle Spaßgemeinschaft alternativer Lebensstile – bis Bobby einzieht und alles durcheinander bringt.

Buch- und Drehbuchautor Michael Cunningham („The Hours“) entwirft hier eine schöne Kulturgeschichte der USA nach Vietnam, von Hippie bis zu Punk, von Drogen zu Aids. Und Farrells metrosexueller Nullerlook passt so leidlich zum bisexuellen Thema. Aber Regisseur Michael Mayer verheddert sich in den Details – genannt sei hier nur die absurde Hippieperücke, mit der Farell im coolen East Village aufkreuzt. Vor allem aber erschließt sich seine Figur nicht, weil Mayer den inneren Monolog der Vorlage den Bildern geopfert hat. Die fallen zwar gehörig sentimental aus, sagen aber nicht besonders viel. Dass eine Aufnahme von Farrells Penis geschnitten wurde, weil er das Testpublikum von der Story abzulenken vermochte, spricht hingegen Bände.

Was also macht der denkende Mann? Er sucht seine Rolle. Er hat keine Geschichte und wendet sich darum der Vergangenheit zu, aber auch der Kunst. Dabei findet er Regisseure, von denen man durchaus noch etwas erwarten kann. Aber sein tiefes, gequältes Selbst findet keinen Weg nach draußen. Und so spielt er auch weiterhin den Helden, den Obi-Wan oder Alexander oder Sonny Crockett. Er könnte einem fast Sorgen machen.