Unter der dicken Außenseiterpelle

Abonniert auf die Schwierige: In Felix Randaus Film „Northern Star“ spielt Julia Hummer eine 18-Jährige, die überzeugt ist, dass die Welt sich nur um sie dreht. Im wirklichen Leben hält sich die Schauspielerin zurück und zieht dem Rummel eher die Folkmusik mit ihrer eigenen Band vor

„Musik ist echt mein Ding. Das würde ich gegen nichts eintauschen“

VON JENNI ZYLKA

Ich glaube, die hat bei „Giganten“ mitgespielt, brüllt ein Konzertbesucher seinen Kumpel über den Gitarrensound hinweg an. Der brüllt zurück: Ach. Mit James Dean, in den 50ern? Dafür hat sie sich aber gut gehalten … Natürlich war Julia Hummer in den 50ern noch nicht mal Quark im Schaufenster. Der Film, in dem die beiden Spezialisten sie gesehen haben, hieß „Absolute Giganten“, war von 1999 und Julias erster. Sie wurde damals vom Regisseur Sebastian Schipper besetzt, weil er sie auf dem Cover des Jetzt-Magazins gesehen hatte, auf das sie auch nur zufällig gekommen war – jemand hatte die damals 18-Jährige auf der Straße angesprochen. Da hatte sie schon eine Menge Zeug hinter sich: Teilweise vaterlos aufgewachsen, Schule geschmissen, Lehre abgebrochen, aus einem Jugendheim ausgerissen, alleine herumgereist. Das könnte fast eine echte Von-unten-nach-oben-Legende aus Deutschland sein, wenn Julia nicht so extrem zurückhaltend mit ihren Biodaten wäre.

Trotzdem kann man bei ihr langsam von Ruhm sprechen: Ihr Konzert im Kaffee Burger mit der Julia Hummer Band ist ausverkauft, eine Menge potenzielle Fans müssen nach Hause geschickt werden. Nicht schlecht für den ersten großen Auftritt einer jungen Band. Vor allem, wenn sie Indie-Folkmusik macht. Denn Fräulein Hummer ist keine Serien-Lobbe, die sich einem beim Fernseheranschalten aufdrängt. Doch wenn man sie mal gesehen hat, merkt man sich ihr verschlossenes Gesicht. Nach dem Erfolg von „Absolute Giganten“ spielte Julia in wenigen Fernsehfilmen, dann in „Crazy“ und im deutschen RAF-Geschichtsfilm „Die innere Sicherheit“.

Jetzt hat sie die Hauptrolle im Debütfilm des dffb-Absolventen Felix Randau: In „Northern Star“ ist sie die 18-jährige Anke, die als Kind Zeugin war, wie ihr Vater sich aus Liebeskummer umbrachte, und jetzt, 13 Jahre später, noch immer allein ihre Mutter dafür verantwortlich macht. Störrisch, spätpubertär-verstockt und ungemein egozentrisch lässt sie zu Hause die Fetzen fliegen, als ihre Mutter ein Verhältnis mit dem Pfarrer der norddeutschen Kleinstadt beginnt, in der beide wohnen. Anke gönnt niemandem etwas, kann und will sich in niemanden hineinversetzen und ist überzeugt davon, dass die Welt sich nur um sie dreht. Folgerichtig lässt sie das aufrichtige Werben eines Jugendfreundes kaltschnäuzig abperlen und tut sich mit einem schnöseligen Rich-Kid-Klassenkameraden zusammen, der viel erzählt, wenn der Tag lang ist, und sein Leben ansonsten mit dem Durchbringen des geerbten Vermögens und dem Demolieren seines Geburtshauses verbringt.

Felix Randau hat nicht gerade eine liebenswerte Protagonistin erschaffen. Aber eine lebensechte: Es gibt solche juvenilen Querulantinnen. Und Julia Hummer ist es zu verdanken, dass man Anke trotz ihrer vielen schlimmen und weniger schönen Momente, trotz ihrer Trotzigkeit, ihres zickigen Egoismus und ihrer überemotionalen Dramatik manchmal in den Arm nehmen möchte. Weil man hofft, dass irgendwo unter der dicken In-your-face-Außenseiterpelle ein klasse Mädchen wartet.

Julia Hummer, deren Zerbrechlichkeit durch ein amtliches 70s-Schmierrock-Outfit mit weiter Jacke und mittellangen dunklen Haarsträhnen nur noch unterstrichen wird, sitzt zwei Tage nach dem Konzert im Hinterzimmer ihrer Lieblingsspelunke im Prenzlauer Berg, in der Nähe ihrer neuen Wohnung, und trinkt Bier. Das sei wirklich prima gelaufen mit dem Konzert, das findet sie auch. Sie erzählt von der Tour, den Gigs in Hamburg und München und davon, wie froh sie ist, mit diesen unglaublich tollen Musikern zusammenzuspielen: Von Schneider TM ist jemand dabei, und von Awesome. Daran habe es gelegen, dass der Gig im Burger so gut besucht war, davon ist Julia überzeugt. Die Band ist einfach super, sagt sie. Dass ihre nicht zu unterschätzende Nischen-Prominenz etwas mit dem Erfolg zu tun haben könnte, diesen Gedanken möchte sie nicht hören. „Musik war mir halt immer schon am wichtigsten“, sagt sie. „Das ist echt mein Ding. Das würde ich gegen nichts eintauschen.“

Filme macht sie nur noch in den Semesterferien, wenn das Designstudium ruht. Musik macht sie schon seit Jahren permanent. Bei der Julia-Hummer-Band singt sie, schreibt die Lieder und spielt Gitarre. Sie hat eine schöne, zarte, bestimmte und auf eine jugendliche Art weise Stimme, und sie schreibt Songs, die von zu vielen Männern handeln, die einem die Luft zum Atmen nehmen, ein Lied heißt „Bowling in Woodstock“. Auf der Bühne ist sie komplett in den Sound versunken und trotzdem extrovertierter, als sie im Gespräch über ihre Schauspielerei je ist. Sie lächelt öfter, sie erzählt dem Publikum nuschelige, kleine Geschichten. Hört ihr mich dahinten überhaupt, zirpt sie. Klar, ruft das Publikum zurück. Es ist lauter als Julia.

Die Musik ist moderner Indie-Folk, nicht so folkig wie Joni Mitchell, nicht so poppig-ausgereift wie Norah Jones. Hübsche Stücke, gute Texte, zum Mitwippen, zum Nachdenken. „Mir ist neulich auf der Bühne erst beim fünften Song aufgefallen, dass ich ja vorne stehe und quasi hier der Entertainer bin. Aber dann fand ich das gar nicht so schlecht“, erzählt sie und geht in manchen langen Silben mit der Stimme runter, so wie es Norddeutsche manchmal machen und wie es langsam zu einem Markenzeichen wird.

Sie ist keine Serien-Lobbe, die sich einem beim Fernseher-anschalten aufdrängt

Nun erreicht ein Film, der im Fernsehen läuft, um ein Tausendfaches mehr Menschen als ein Konzert in einem kleinen Club. Darum wird Julia trotz ihrer echten Leidenschaft für die Musik und ihrer echten kritischen Haltung zum Filmbusiness auch weiterhin als eine der vielen singenden SchauspielerInnen gehandelt, so wie – im schlechtesten Fall – Heiner Lauterbach und Jan-José Liefers und – im besten Fall – Meret Becker und Anke Engelke. Dabei versucht sie momentan sogar, auch einer etwaigen Zukunft ohne Film vorzubeugen: Das Designstudium könnte sie vielleicht ernähren, wenn es mit der Musik nicht mehr klappt und sie keine Lust mehr auf Filmen hat. Denn Julia hat ihre Rollen immer nach dem Lustprinzip ausgewählt. Bei „Northern Star“ mochte sie den Kurzfilm, den Randau vorher gemacht hat, und ihr gefiel die Herausforderung, eine unsympathische Rolle zu übernehmen. „Aber manchmal kann ich dieses Trauriggucken echt nicht mehr ab“, sagt sie und bringt damit ihr Typecasting auf den Punkt: abonniert auf die Schwierige. Die mit der inneren Spannung.

Ihr Studium zieht sie jetzt jedenfalls durch. „Ich wollte etwas studieren, wo es nicht immer nur um mich geht“, sagt sie, „nicht wie beim Schauspielern und Musikmachen. Sondern wo man die Ideen von jemand anders umsetzen muss. Als Ausgleich sozusagen“.

Julia Hummer ist manchmal von der Schauspielerei genervt. „Das hat mir zwischendurch mal echt nicht gut getan“, sagt sie und schlürft den letzten Schluck Bier aus dem Humpen. Zahlt die taz das Bier, fragt sie, dann würde sie noch eins nehmen. Aber die taz kann sich keine Spesen leisten. Julia auch nicht. Sie habe gerade überhaupt kein Geld, erzählt sie, aber das sei ihr komplett egal. „Geld ist das Unwichtigste, was es gibt“, sagt sie, um gleich nachdenklich einzuschränken: „Okay, aber ich bin auch jung und gesund und habe keine Familie. Mir fehlt nichts ohne Geld, obwohl ich einen Klamottentick habe.“ So wie die meisten Musiker, erklärt sie, denn Mode und Musik sind ja auch irgendwie ähnlich.

Bei Julia fällt dieser Tick glücklicherweise nicht auf. Sie sieht von weitem aus wie ein nach innen gekehrtes Mädchen in alten Joey-Ramone-Klamotten und von nahem wie ein Mädchen, das aus sich selbst schöpfen kann. Das es sich leisten kann, „nein“, „ppphö“ und „mal gucken“ zu sagen, wenn es von einer Sache nicht überzeugt ist. Dem zwar vieles in den Schoß fällt, dessen mittelkurzes Leben aber auch Kampfansagen, Schwierigkeiten, soziale Löcher beinhaltete, und es gestählt hat. Zäh gemacht hat. Für den Ruhm, der manchmal anstrengend sein kann.