Die Söhne des Monsters kehren zurück

Wie Phoenix aus der Asche will der Netscape-Nachfolger Mozilla das Internet zurückerobern. Mit dem Browser Firefox und dem brandneuen Mailer Thunderbird stehen die Chancen nicht schlecht

VON DIETER GRÖNLING

Phoenix aus der Asche. Nirgendwo ist das arg strapazierte Sinnbild vom Vogel, der in der ägyptischen Mythologie aus den verbrannten Überresten des Osiris hervorgegangen sein soll, zutreffender als im heutigen Internet. Moderne Philosophen, zum Beispiel Fußballtrainer, interpretieren die Phoenix-Geschichte zeitgemäß: Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Und für das aus dem mausetoten Internetbrowser Netscape entstandene Mozilla-Projekt fängt der Spaß genau jetzt gerade mal an: Nach einigen Vorabversionen ist kürzlich nach 19-monatiger Arbeit der erste offizielle Mozilla-Browser unter dem Namen Firefox erschienen. Und seit Mittwoch kann auch der dazu passende Mailer Thunderbird 1.0 von der Firefox-Seite heruntergeladen und kostenlos benutzt werden. Damit wird der tägliche Umgang mit dem Netz auf allen Systemen deutlich bequemer, ein wenig eleganter und für Windows-Nutzer vor allem sicherer. Gibt es nun einen neuen Browserkrieg?

Wie alles begann

Seit Microsoft mit der Markteinführung von Windows 98 den Netscape-Browser und andere Konkurrenten aggressiv verdrängt hat, indem der Internet Explorer gleich in das Betriebssystem integriert und somit quasi kostenlos wurde, ist der Gatesbrowser für mehr als 95 Prozent der Internetbenutzer zum Standard geworden.

Doch der Explorer hat massive Schwächen und Sicherheitslücken (die taz berichtete mehrfach), die auch die so genannten Security Packs bis heute nicht in den Griff bekommen haben. So empfehlen unter anderem das US-amerikanische Ministerium für Heimatschutz und selbst das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), aus Sicherheitsgründen den Internet Explorer nicht zu benutzen.

Auch wird der Microsoft-Browser seit langem nicht weiterentwickelt, eine neue und sichere Version ist längst überfällig. Doch Alternativen für die Windows-Plattform gab es bislang kaum. Entweder kosten sie wie Opera richtig Geld, oder sie sind von der Bildfläche verschwunden.

Netscape ging an den Onlinedienst AOL. Der hatte noch nie so richtig etwas mit dem Internet im Sinn und setzt bis heute auf selbst gebasteltes Familyentertainment seichter amerikanischer Machart. Der Netscape-Browser wurde nur halbherzig weiterentwickelt und ist heute auch mit der letzten Version 7.1 bei fast allen Usern äußerst unbeliebt. Glücklicherweise hat Netscape noch vor der Firmenübergabe den Programmcode von Browser und Mailer als Open Source freigegeben.

Unter dem Dach der Mozilla Foundation entstand ein ehrgeiziges Projekt, an dem inzwischen mehrere hundert Programmierer aus aller Welt beteiligt sind: Ein neuer Browser sollte her – einer ohne die Microsoft-Macken, und einer, der obendrein noch elegant und zeitgemäß ist.

Der Feuerfuchs

So viel ist jetzt schon klar: Firefox ist sehr flott, dem Microsoft-Pendant haushoch überlegen und gilt auch unter Profis als wesentlich sicherer. Er wurde bereits fast zehn Millionen Mal heruntergeladen. Laut der deutschen Firefox-Gemeinde macht er zugleich allen, die versuchen, Open Source als komisches unprofessionelles Community-Ding abzutun und in die Frickelschublade zu stecken, auch Angst. Die ist offenbar unbegründet, denn die beim Internet Explorer so gefürchteten – weil potenziell gefährlichen – ActiveX-Controls laufen gar nicht erst.

Trotzdem wurden bislang alle Internetseiten fehlerfrei dargestellt, und wenn für animiertes Gedöns und anderen Werbemüll irgendwo ein Plug-in erforderlich ist, weist Firefox dezent darauf hin. Einfach wegklicken, das ist alles. Auch die lästigen Pop-up-Fenster, die mitunter auf halbseidenen Websites unaufgefordert auftauchen und den Spaß am Surfen vermiesen können, werden schon mit der Voreinstellung wirksam unterdrückt. Wirklich neu, aber nur für Newsjunkies interessant, sind die dynamischen Lesezeichen. Sie zeigen stets aktuelle Nachrichtenticker in einem separaten Fenster an. Das ist nett, die Mozilla Foundation hätte jedoch besser daran getan, dieses Feature in der Voreinstellung zunächst abzuschalten, denn dadurch werden sofort nach der Installation unnötige Onlinekosten verursacht, weil der Browser als Erstes eine Verbindung zu tagesschau.de aufbaut, um unnützen Bla-Fasel abzuholen. Wer den Browser frisch installiert, kann einfach das Symbol für aktuelle Nachrichten aus der Lesezeichenleiste löschen.

Ansonsten ist Firefox mit eigenständigen Aktivitäten angenehm zurückhaltend, und die neue und jetzt leere Lesezeichenleiste kann man hervorragend für häufig besuchte Webseiten nutzen. Ansonsten: im Menü Ansicht einfach abschalten, dann ist mehr Platz auf dem Bildschirm. Nicht mehr ganz neu aber im Vergleich zu älteren Browsern ungeheuer praktisch sind die Karteikartenreiter am oberen Fensterrand, so genannte Tabs. Damit lassen sich zum Beispiel bei Google gefundene Webseiten in separate Fenster laden, ohne wie bei Microsoft für jedes Fenster eine neue Browserinstanz starten zu müssen: Einfach mit der rechten Maustaste auf den Google-Link klicken und „In neuem Tab öffnen“ auswählen. So kann sich die Seite schon mal im Hintergrund aufbauen, während man noch weiter googelt. Hin-und-Herschalten geht dann mit einem Mausklick.

Alles in allem ist Firefox sehr bequem und offenbar auch recht sicher. Dennoch sollte man im Menü „Extras“ unter „Einstellungen“ überprüfen, was in welchem Umfang erlaubt sein darf und was nicht. Aus gutem Grund empfiehlt der Webdesigner und Autor Ralph Segert in seiner Firefox-Webseite für Ein- und Umsteiger unter „Web-Features“ den aktivierten Java-Scripts alles außer „Grafiken verändern“ zu verbieten. Damit ist man vor unliebsamen Überraschungen einigermaßen sicher. Es gibt kein absolut sicheres Surfen – egal, mit welchem Browser man unterwegs ist.

Der Donnervogel

Anfangs bestand das Open-Source-Projekt Mozilla aus einer Internet Suite, einem Komplettpaket aus Browser und Mailprogramm. Daraus wurden nun zwei eigenständige Programme, die einzeln heruntergeladen und installiert werden können. Auch die brandneue Version 1.0 des Mailers Thunderbird erinnert kaum noch an das alte Netscape. Selbstverständlich können heute mehrere Mailkonten verwaltet werden; es gibt viele sinnvolle und unnütze Neuerungen. Wer bislang Microsoft Outlook oder Outlook Express benutzt hat, sollte schon wegen der Sicherheitslücken dieser Programme über einen Umstieg nachdenken. Der gesamte Mailbestand und das Adressbuch können übernommen werden, kein Problem.

Wer jedoch bislang einen ganz anderen Mailer benutzt hat, etwa Eudora oder The Bat, und den Newsreader nicht braucht, sollte dabei bleiben: Aufgrund der doch etwas seltsamen Organisationsstruktur der Mailkonten (lokaler Ordner etc.) erscheint Thunderbird etwas ungewohnt und zum Teil widersinnig. Wohl ein Zugeständnis an die Microsoft-Umsteiger, die Gutes und Sinnvolles ohnehin nicht gewohnt sind.