Feminismus for Fun

Der Aufstieg in den Mainstream hat die Elektropunkband Le Tigre müde gemacht, ihr Agitpop wirkt heute verkrampft. Können Frauen sich nur als begeisterte Aktivistinnen im Musikgeschäft bewähren?

Kathleen Hanna ist die Leidenschaft des Neubeginns aus den Augen geraten

VON SUSANNE MESSMER

Die Idee ist wie immer wunderbar. Auf dem Cover des neuen Album „This Island“ von Le Tigre sieht man Johanna Fateman, JD Samson und Kathleen Hanna, wie man sie bisher selten bewundern durfte: vor rosa Hintergrund wie beim Hochzeitsfotografen, mit blauem Lidschatten, Rose am Revers und kunstvoll hochgestecktem Haar. So, wie sie hier posieren, würden sie in jedes Familienalbum und auf das Cover vieler Frauenzeitschriften passen. Aber auch nur fast. Denn warum wird der Mann in der Mitte von zwei Frauen umrahmt? Und, auf den zweiten Blick: Ist der Mann in der Mitte trotz Flaum über der Oberlippe nicht doch eine Frau?

„Enemy style“ – so nennt es die New Yorker Frauen- und Elektropunkband Le Tigre in einem ihrer neuen Songs selbst, und kurz gesagt ist genau dies das Konzept ihres neuen und dritten Albums: diesen Enemy Style zu annektieren und gegen sich selbst zu wenden, an den Mainstream anzuschließen, dabei aber keinen Meter von der bewährten Programmatik abzuweichen. Es könnte sein, dass es gelingen wird: Keines ihrer bisherigen Alben war derart glatt und poppig produziert, keiner ihrer alten Songs reiht sich so unauffällig in die fetten Beats, die den Alltag mit Radio und Fernsehen beherrschen.

Man muss sich das ungefähr so vorstellen: Während man noch müde an seinem Morgenkaffee nippt und die neuesten Fabrikate einer Britney Spears oder eines Usher vorbeirauschen lässt, kommen plötzlich Le Tigre. Erst hört man gar nicht richtig hin, dann verschluckt man sich plötzlich am Kaffee. Denn zwischen zwei eleganten Melodieschlaufen, die von jedem beliebigen Hitproduzenten stammen könnten, ruft Kathleen Hanna ganz unerwartet zur Revolution auf. Oder JD Samson, die Frau mit dem Flaum über der Lippe, singt über die Schwierigkeiten, eine Dyke zu sein.

Genau so und nur so funktioniert das neue Album von Le Tigre: als Sand im Getriebe, als kleine, gemeine Subversion. Im Kontext der öden Charts freut man sich an der beinahe ununterscheidbaren Elastizität der neuen Songs, an der Disziplin, mit der Le Tigre durchziehen, was sie sich vorgenommen haben, und an der sorgsam eingestreuten Irritation, die nicht nur Eingeweihten auffallen dürfte.

Wenn man dann aber in den Plattenladen geht, um sich die neue Platte zu kaufen, und versucht, sie sich einmal von vorne bis hinten anzuhören: die große Enttäuschung. Alles, was früher provisorisch war an Le Tigre, dabei ansteckend enthusiastisch angesichts der neuen Möglichkeiten der elektronischen Produktionsmittel, wirkt jetzt in der Länge des ganzen Albums steril. Was man früher charmant fand, weil es von der Ungeduld rührte, von der manischen Unersättlichkeit, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel zu erreichen – die Dürftigkeit der musikalischen Einfälle nämlich –, wird jetzt traurig bestimmend.

Die didaktische Message, der Agitpop von Le Tigre, den man früher schluckte, weil sie so stürmisch kamen, hat jetzt etwas Verkrampftes, Kontrolliertes. Plötzlich erscheint die Musik nur noch als Supplement, als das Zeichen, das zugunsten der Botschaft vernachlässigt werden darf. Le Tigre haben den Spaß daran verloren, mit wenig Aufwand große Effekte zu erzielen – und damit ist auch die Aufbruchstimmung dahin, die sie immer glaubwürdig machte. „Get your keys out now, start the ignition“, singt Kathleen Hanna: Hier wird Abfahrt beschworen, weil sie ausbleibt.

Es war genau das atemberaubende Gefühl von Anfang, das das Modell weiße Frauenband so überzeugend machte – und es war immer der Beginn der Routine, der Professionalisierung ohne dazugehörigen Ideenzuwachs, der diesen ruinierte und die Beteiligten aufgeben ließ oder zwang, nach frischen Mitteln zu suchen. Avantgarde bleiben und immer wieder das revolutionäre Pathos neu erfinden: Betrachtet man die Entwicklung, die Frauenbands nahmen, dann kommt es einem vor, als hätte man es mit einer Wellenbewegung zu tun, einer Wiederkehr des immer Gleichen, bei der es immer nur darauf ankommt, einen Auftakt zu finden und so lange wie möglich maximal ekstatisch daran festzuhalten. Das gilt sowohl für die ersten Punkbands Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre, die Slits oder die Raincoats, als auch für Riot Grrrl Anfang der Neunzigerjahre; und ebenso gilt es für die aktuelle Sturmflut von Performancekünstlerinnen und Elektropunkbands, die schon seit einiger Zeit vor allem in Berlin Platten produzieren, als gälte es das Leben.

Kathleen Hanna hat diese Entwicklung schon einmal durch: Anfang der Neunzigerjahre wurde sie als Sängerin und Texterin ihrer Band Bikini Kill zur Galionsfigur der Riot-Grrrl-Bewegung. Man nahm die Do-it-yourself-Ästhetik und die Gleichgültigkeit von Punk gegenüber starren Geschlechterrollen auf, machte sie schön frisch und plötzlich war wieder mehr möglich als Rock 'n' Roll mit seinen „street fighting men“, die immer „on the run“ sind.

Das kam genau so lange gut und locker, wie es mit Spaß verbunden war. Als Riot Grrrl starb, löste Kathleen Hanna die Band weise auf und sah sich nach etwas Neuem um. Sie gründete Le Tigre, fand in Johanna Fateman und JD Samson neue Seelenverwandte und entdeckte mit den Mitteln der elektronischen Musik ein neues Anfangspathos: Eine Weile lang durfte es der ehemaligen Stripperin wieder um politisches Engagement gehen, um soziale Absicherung für Prostituierte oder bezahlbare und legale Abtreibung, ohne das man das verkrampft fand. Dass sie auf ihrer neuen Platte gegen den Irakkrieg ansingt, nimmt man ihr jetzt aber leider nicht mehr ab. Und das liegt weniger an der Dringlichkeit ihres Anliegens als daran, dass ihr wieder die Leidenschaft des Neubeginns aus den Augen geraten ist.

Während sich die New Yorker Avantgarde also nach neuen Stilmitteln wird umsehen müssen, ist man in Berlin derzeit noch einen Schritt zurück und hat auch nach fünf, sechs Jahren Erfolgsgeschichte noch immer das Gefühl, fröhlich von vorn anzufangen. Dabei hat der Elan des Elektropunk, den dort seitdem so viele Frauen produzieren, viel mit der performativen Kraft zu tun, die sie dazu auf der Bühne entwickeln. Oft verdanken sie diese Kraft wiederum der reduzierten, oft stumpfen Musik, die allein auf CD manchmal langweilig anzuhören ist. Egal ob die kampferprobte Peaches auf der Bühne fast zerplatzt vor Kraftmeierei und dabei auch auf ihrer zweiten Platte wenig Wert legt auf musikalische Verfeinerung; oder ob die damenhafte Angie Reed zu einfallslosen Rhythmen fast schmilzt vor weiblichem Begehren. Egal ob es die fetischverliebten Cobra Killer sind oder die kindlichen Electrocute, die in letzter Zeit neue Alben veröffentlicht haben: Der Charme all dieser Musikerinnen und Bands speist sich vor allem aus dem Gefühl des Anfangs.

Es muss Menschen geben, wahrscheinlich junge Frauen, die immer wieder denken: Hier geht etwas los, hier geschieht etwas, was die Welt noch nicht gesehen hat. Und dieses Gefühl evozieren selbst noch die Rhythm Kings And Her Friends mit ihrem neuen Album „I Am Disco“ überzeugender als die gelangweilten Le Tigre – trotz müde vorgetragener Songs über die schüchterne erste gleichgeschlechtliche Liebe oder die verzwackten Schwierigkeiten, die sich der Crossdresserin beim Blick in den Kleiderschrank stellen; trotz bisweilen anstrengender und vor allem humorfreier Kontexte wie Frauenmusikfestivals und antirassistischen Grenzcamps, in denen sie bislang vor allem auftauchten.

Mehr Spaß noch als alle anderen Berliner Elektropunk-Girlgroups zusammen haben aber immer noch die heroischen Chicks On Speed – und das, trotzdem ihre neue Platte „And The No Heads“ nicht ihrer erste und auch nicht ihre zweite ist. In einem ihrer Songs, im „Household Song“, stolpert man plötzlich über ein Fensterputzgeräusch und anderes seltsames Geklapper, das von Schrubbern und Schnee herrühren könnte; in einem anderen paart sich abstraktes Knirschen und Kofferradio auf dem Meeresgrund, plötzlich bricht der Ton weg, jemand sagt: „Do you hear me?“ – ein anderer kurbelt am Tonregler herum, auf einmal ein paar indische Töne. Selten wurden Ratlosigkeit und Verwirrung musikalisch charmanter umgesetzt. Vielleicht liegt es daran, dass Chicks On Speed sich weniger um die Botschaft vom Frausein als um die vom frauenspezifischen Multitasking kümmern. Sie tanzen auf so vielen Hochzeiten, dass sie nie auch nur auf einer von ihnen Routine entwickeln werden.

Die Chicks On Speed haben sich auf einer Kunsthochschule kennen gelernt und sind nur zufällig zur Musik gekommen: durch eine Performance, mit der sie an ausgestöpselten Plattentellern die Wichtigtuerei mancher DJs parodierten. Ungeduld ist der Antrieb, Schmarotzertum die Methode – nie würden sie auf die Hilfe anderer verzichten, wenn man so schneller ans Ziel kommen kann. Waren es früher DJ Hell oder Patrick Pulsinger, hat diesmal Christian Vogel bei der neuen Platte viel angerichtet. So bleibt den Chicks On Speed nebenher hübsch viel Zeit, auch noch das eigene Label zu betreiben, auf dem nicht zufällig vor kurzem das Album der Gründerin der Raincoats Ana da Silva erschienen ist. Zudem machen sie Kunst und entwerfen Mode, die so dürftig selbst gebastelt wirkt wie von Kindern, von Lumpenbohemiens oder von Globalisierungskritikern, die kritisch darauf hinweisen, dass heute alle Markenmode in Billiglohnländern zusammengenäht wird.

Auch wenn man sich über den Enthusiasmus dieser nicht mehr ganz neuen Berliner Welle von Frauenbands, die sich immer noch als heißester Scheiß der Stunde verkauft, freuen kann: Irgendwann kommt dann doch die Frage auf, ob es keinen Weg aus dieser Wiederkehr des immer Gleichen gibt – sei es auch noch so neu und verführerisch. Warum gibt es eigentlich keine einzige richtig gute Gitarrenband, die einfach nur tolle Musik macht und sonst nichts? Mit Frauen, die ihr Frausein überhaupt nicht mehr zum Thema machen? Wen gibt es denn da – sieht man einmal von HipHop ab? PJ Harvey vielleicht, ohne Band. Die kanadische Sängerin Feist, auch ohne Band. Eine weiße Frauenband, die sich vom Pathos des Anfangs befreit hat und sich plötzlich so richtig um das kümmert, was bisher nur Supplement war – nämlich um die Musik –, eine solche Band hat es bislang nicht gegeben.