„Ich komm nicht mehr runter“

Heute veranstaltet Stefan Raab das „TV-total-Turmspringen“. Vorher sprach er mit der taz über schlechte Quoten, kreative Pausen und trockene Schäfchen

INTERVIEWJAN FEDDERSEN
& HANNAH PILARCZYK

taz: „Runter kommen sie alle“ heißt das Motto Ihrer Turmshow. Weshalb?

Stefan Raab: Das ist eben ein physikalisches Gesetz.

Gilt der Titel nicht auch metaphorisch – in eigener Sache?

Nein, das kann gar nicht sein.

Bitte?

Weil ich von unten angefangen habe. Ich kann nur oben ankommen.

Es heißt doch, beim Aufstieg immer freundlich zu bleiben – weil man alle beim Abstieg wiedersieht.

Freundlich bin ich ja.

Aber die anderen nicht. Von Bild bis Tagesspiegel schreibt man Sie runter.

Was in der Zeitung steht, interessiert mich sowieso nicht. Ich möchte euch jetzt nicht beleidigen, aber auch was bei euch steht, interessiert mich im Endeffekt nicht wirklich.

Was interessiert Sie denn?

Ob mir etwas Spaß macht. Von Medienstellungnahmen bin ich mittlerweile, glaube ich, völlig unabhängig.

Das behaupten ja viele.

Stimmt. Aber mir kann man das mittlerweile durchaus abnehmen.

Sind Sie darauf stolz?

Sehr.

Aber der Ton Ihnen gegenüber hat sich gewandelt. Da wird schon mal direkt auf Ihre Kleidung abgezielt.

Ich fühl mich wohl mit dem, was ich trage. Das könnte ich ja ganz schnell ändern. Dann kann ich mir was anziehen und dann sehe ich besser aus als jeder, der da hinterm Schreibtisch sitzt und seine Zeilen zu Papier bringt. Das kränkt mich überhaupt nicht.

Quoten sind ja objektiver als Modegeschmack. Warum sind Ihre in den letzten Monaten so abgestürzt?

Wir haben im Moment die besten Quoten seit Monaten.

Die vorher im Keller waren.

Man muss ja zwischenzeitlich die Quoten runterbringen, damit man dann wieder einen Erfolg vermelden kann.

Die quotenschwächeren Sendungen der letzten Wochen sollen Kalkül gewesen sein?

Alles, was wir machen, ist Kalkül. Wenn wir gute Quoten haben, kalkulieren wir das vorher, und wenn wir schlechte haben, auch. Das können wir steuern.

Müssen wir das ernst nehmen?

Nein. Wir hätten gerne immer gute Quoten, da hat ja keiner was dagegen. Über die Jahre gesehen machen wir das, was wir da machen, sehr erfolgreich, und da liegt der Erfolg dann in der Kontinuität. Wenn wir mal schlechtere Quoten haben, heißt das ja, dass uns weniger Leute folgen können und wir auf dem direkten Weg zur Avantgarde sind.

Apropos Avantgarde: Könnte man eigentlich mit Adorno sagen, dass nach Auschwitz im Grunde genommen kein Turmspringen mehr möglich ist?

Was ist denn das für eine Auffassung?

Nach Auschwitz, heißt es, kann man keine Gedichte mehr schreiben, und im Grunde genommen gälte das doch auch fürs Turmspringen.

Nur aufgrund des Worts „Turm“? Find ich nicht angebracht.

Stehen wir im Grunde turmspringend-geschichtsvergessend da?

Das ist mir jetzt zu philosophisch.

Wir sind enttäuscht.

Sie haben gedacht, es hätte einen politisch-philosophischen Hintergrund?

Auf jeden Fall.

Ja, aber das ist ja so, wie wenn ein Künstler seinen Text erklärt. Sollte er niemals machen. Deshalb kann ich Ihnen auch nicht wirklich die Philosophie des Turmspringens erklären. Ich pflege eigentlich erst immer im Nachhinein den Erfolg zur Strategie zu erklären.

Sie haben öfters schon bekannt, von einer einjährigen Weltumsegelung zu träumen. Könnten Sie sich überhaupt erlauben, ein ganzes Fernsehjahr einfach weg zu sein?

Ja.

Wieso?

Weil ich genug zusammengespart habe. Sie meinen das aber eher …

um nicht die Fans zu verlieren. Sie erzeugen mit den Events einen konstanten Aufgeregtheitspegel.

Das liegt einfach daran, dass wir dem Publikum immer was bieten wollen. Und wenn ich eine Idee habe, dann setzen wir die um. Ich bin flexibel und denke da relativ mittelfristig.

Ihre Schäfchen scheinen ins Trockene gebracht zu sein.

Kommt darauf an, wie Sie das meinen. Idealistisch sind die noch lange nicht ins Trockene gebracht.

Woran fehlt’s noch?

Ich möchte noch einiges machen.

Musik oder Fernsehen?

Sowohl als auch. Momentan habe ich noch Bock weiterzumachen. Kann aber auch sein, dass ich in einem halben Jahr keinen mehr habe.

Spielen die Quoten – sinkende vor allem – für Sie auch eine Rolle in Ihren Überlegungen?

Nee. Selbst wenn keiner mehr zusieht, ich mache dann weiter, ob Pro7 das dann sendet oder nicht. Von mir kriegen die das Programm da hingelegt, und dann können die das ausstrahlen.

Wie weit planen Sie?

Höchstens überschaubar. Über 2005 hinaus habe ich keine festen Pläne. Ich habe genug Hobbys, es kann ja auch sein, dass ich dann wieder Wurst mache, wer weiß?

Die Öffentlichkeit soll nichts über Sie privat wissen. Wie viel kostet es, Ihr Privates so effizient abzuschirmen?

Nicht viel. Man muss sich einfach von Veranstaltungen, von diesen Blättern fern halten, die einem gerne ein Foto stricken, am besten das große Partnerinterview inklusive Kind und Kegel, Oma und Opa. Das habe ich noch nie gemacht.

Präsenz bei der Show zur „Goldenen Kamera“ war offenbar auch für Sie unvermeidlich.

Dieser Preis hat ja mit der Bunten nichts zu tun und mit der Gala auch nicht, er wird von einer Fernsehzeitschrift verliehen. Und da bin ich dann so professionell, dass ich es als nicht angemessen empfände, wenn man das ablehnt.

Ist doch auch ganz schön, auf diese Weise belobigt zu werden.

Klar. Aber auch das ist mir, ehrlich gesagt, nicht so wichtig. Ich fühle mich natürlich geehrt, aber wenn es die Etikette nicht verlangen würde, würde ich sagen: Ich bleibe lieber zu Hause, mach Musik, und ihr behaltet eure Preise.

Was bedeutet die Rückkehr von Harald Schmidt ins Fernsehen für Sie?

Ich gräme mich da nicht drüber, wenn jemand mit meinen Gebühren gutes Programm macht.

Und können Sie uns erklären, warum eigentlich Harald Schmidt von den Feuilletons so geliebt wird und Sie nicht?

Find ich gar nicht so. Aber ehrlich gesagt ist mir das sehr angenehm, wenn mir die Leute nicht dermaßen in den Arsch kriechen, das stört mich eher.

Viva, der Sender, bei dem Sie groß wurden, zieht nach Berlin. Empfinden Sie Wehmut?

Wir leben in einem freien Land. Das sind die Regeln des Geschäfts.

Man muss erwachsen werden, Abschied nehmen: Ist es das, was Sie meinen? Sie könnten ja auch traurig sein, dass Ihre Kinderstube einfach abgerüstet wird.

Man muss erst mal sehen, was draus wird.

Mit Viva verlieren Sie eine wichtige Spielwiese, auf der Sie TV-Formate ausprobiert haben, bevor Sie zu Pro7 gehievt wurden.

Wir haben genug Oberflächen im Fernsehen, wo wir unsere Sachen ausprobieren können. Was soll ich also weinen?

Was fällt Ihnen zum Stichwort Leitkultur ein?

Ich persönlich bin auch wieder so liberalistisch, muss ich fast sagen, weil ich meine, man muss den Leuten nicht zu viel vorschreiben. Deswegen ist diese Leitkulturdiskussion nicht so relevant.

Brauchen wir keinen verbindlichen Wertekanon?

Wenn ich im Ausland leben würde, würde ich schon versuchen, mich einzugliedern. Da ist es schon wichtig, dass du dich mit der Sprache befasst. Dass ich jetzt auch noch Leberknödel mit Speck oder Kartoffeln essen muss, geht ein bisschen zu weit. Aber nichtsdestotrotz finde ich schon, wenn man aus einem anderen Kulturkreis kommt, dass man durchaus auch den einen oder anderen Habitus behalten sollte.

Ist Stefan Raab deutsche Leitkultur?

Nö, würde ich nicht sagen.

Leitbildfunktion?

Nö. Das wäre zu viel der Ehre. Ich möchte auch nicht, dass man mir, und das ist auch ein Grund, weshalb ich nicht zur ARD möchte, dass man mir schon zu meinem 40. Geburtstag in der ARD ’ne fade Geburtstagsparty im Fernsehen schenkt.

Eine Horrorvorstellung?

… und mit 75 dann noch mal, wo alle noch mal zum letzten Gruß vorbeikommen. Ich möchte keine Preise fürs Lebenswerk.

Wäre das nicht schön: der Florian Silbereisen von Pro7 – ein deutsches Fernsehdenkmal?

Florian Silbereisen?

Der Volksmusik-Moderator bedient wie Sie sein Publikum nett.

Ist aber auch schon bisschen eine Beleidigung.

Für wen?

Für Florian Silbereisen. Ein guter Mann!

Wäre das, was Thomas Gottschalk erreicht hat, ein Ziel für Sie? Der kann doch auch machen, was er will.

Ich weiß gar nicht, ob er machen kann, was er will. Ich finde, es sieht manchmal nicht so aus.

Er hat die ganzen Stars.

Aber ich habe manchmal das Gefühl, dass er etwas sagen will, aber etwas anderes sagt. Das ist bei mir etwas anders.

Hat sich Ihr Maß an Liebe zu Ihren Events und Projekten verändert?

Eigentlich nicht.

Ist das Turmspringen mit der gleichen Akkuratesse vorbereitet wie die Wok-WM oder die Grand-Prix-Teilnahme mit Max Mutzke?

Ja. Beim Turmspringen bedarf es ja eines viel größeren Einsatzes meiner Person. Beim Wok-Rennen, da geht man hin und dann setzt man sich da rein in so eine Wok-Pfanne, spricht sich ein wenig Mut zu, und los geht’s.

Haben Sie ernsthaft Wasserspringen trainiert?

Ich bin nie ohne Ehrgeiz. Seit Wochen steh ich jeden Morgen da um sieben und mache drei Stunden nichts anderes, als ins Wasser zu springen und da wieder rauszuklettern und wieder reinzuspringen.

Kein Fake, die rote Stelle am Oberschenkel?

Nein, aber der Schmerz vergeht. Das ist ja das Schöne an Schmerzen, dass sie vergehen, oder?

Welches Gefühl ist das?

Mal wieder festgestellt zu haben, dass der Schmerz tatsächlich nachlässt. Das Schlimmste ist ja, wenn man sich vorstellt, man springt da runter, und der Schmerz geht nicht mehr weg.

Lieben Sie denn inzwischen Turmspringen?

Nein, das nicht. Wesentlich geht es um die Angst vor Schmerzen und wie er vergeht. Das ist, was mich treibt.