Impressionismus gegen den Tunnelblick

Tradition und Moderne treffen sich im Hort kolonialer Souvenirs: Die Heinrich-Böll-Stiftung präsentiert mit „Identitäten versus Globalisierung“ im Berliner Ethnologischen Museum ihre erste Ausstellung zeitgenössischer Kunst aus Südostasien und fragt: Was ist die Sicht des Anderen?

VON MEIKE JANSEN

Fast unbemerkt hat die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung vor sechs Jahren einen Südostasien-Schwerpunkt in ihr Programm aufgenommen. Nun ist ihre erste Kunstausstellung in Deutschland zu sehen. Ausgangsort war das nordthailändische Chiangmai, wo die Stiftung einen Regionalsitz hat. Dort wurden bereits zahlreiche Kunstprojekte gefördert und initiiert, wie etwa „Asiatopia 4“, ein Festival für politische Performancekunst. Von hier aus wurden Kulturmanager angeschrieben, eingereichte Projekte begutachtet und Künstlerinnen und Künstler zu Workshops geladen. Nach einer mehrjährigen Vorbereitungszeit und einer dreiwöchigen Ausstellung im Kunstmuseum von Chiangmai wanderte die Ausstellung im Sommer in die Nationalgalerie in Bangkok. Mit Erfolg. Nun sind die Arbeiten von 57 Künstlern aus zehn südostasiatischen Ländern wie Kambodscha, Brunei oder Laos im Ethnologischen Museum Berlin zu sehen.

Was dort im Hort kolonialer Souvenirs zu sehen ist, erstaunt ob der inhaltlichen wie stilistischen Vielfalt. Leider fehlt in Berlin der Raum, um die zehn manchmal etwas konstruierten Themenkomplexe wie „lokale-globale Werte“, „kulturelle Reibung“ oder „utopische Visionen“ stringent auszubreiten. So findet sich das Publikum, dem Thema „Identitäten versus Globalisierung“ entsprechend, in einer verwirrenden Fülle von Verknüpfungen von Tradition und Moderne, von religiösen, gesellschaftlichen und politischen Inhalten sowie persönlichen Anliegen wieder.

„Tunneled View“ des kambodschanischen Malers Som Sophon etwa überwältigt mit einem impressionistischen Blick auf eine der bekanntesten Tourismusstätten seines Landes: den Bayontempel. Der Tunnelblick auf die Anlage verdeutlicht, wie wenig über das Land zu erfahren ist, schaut man nur auf die touristischen Highlights der Region. Eine Kritik, die Sophon auch an die Instanzen des eigenen Landes richtet. Die impressionistische Malerei lässt das Gemälde dabei wie das Souvenirangebot eines Straßenmalers erscheinen, erinnert darüber hinaus aber mit erstaunlicher Leichtigkeit an die französische Kolonialvergangenheit des Landes. So wundert es nicht, dass dieser Stil ausgerechnet in Europa als unaktuell angeprangert und die Ironie nicht erkannt wird.

Doch sind es vor allem die Arbeiten von Künstlern aus Indonesien und Thailand, die unmissverständlich funktionieren. Wie die mannshohe, aus geschreddertem Geld gepresste Buddhaskulptur von Kamin Leftchaiprasert. Sie ist in drei Teile zerlegt und nur in der Vorderansicht, der Betperspektive, als Ganzes wahrnehmbar. Religion, Macht und Geld sind kein ausschließlich christliches Thema.

Es gibt noch vieles zu entdecken. Etwa die Auseinandersetzung mit dem Terror. Der Indonesier Ade Darmawan ließ dazu Einkaufswagen mit „Zutaten“ für Bomben aus einem Supermarkt zusammenstellen und vor eine riesige Spiegelwand stellen. Nun spiegeln sich die Besucher zusammen mit dem explosiven Gemisch der Konsumartikel. Ein weiteres häufig wiederkehrendes Thema ist die Gleichberechtigung der Frau. So nähte die in den Niederlanden geborene und in Indonesien lebende Mella Jaarsma die Abzeichen politischer Parteien und religiöser Gruppen zu einem bodenlangen Schleier zusammen.

Kus Widanato, ebenfalls aus Indonesien, beschäftigt sich dagegen mit einer global gültigen Wahrnehmungsfrage: Was ist die Sicht des Anderen? Seine Arbeit besteht hauptsächlich aus zwei geschlossenen Helmen, die sich Besucher aufstülpen können. Im Inneren blickt man auf einen Monitor, der – über eine Kamera am Helm der anderen Person – zeigt, was der andere sieht. Man ahnt, es ist nicht leicht, sich so zu orientieren. Leider kann man dies nur im Sitzen probieren.

In der Ausstellung wird aber auch der extrem unterschiedliche Entwicklungsstand in den Staaten dieser Region und somit auch der Künstler deutlich. Darüber hinaus ist diesen aufgrund der politischen Lage in ihren Ländern eine deutlich kritische Perspektive oft nicht möglich. Informationen über diese Lage müssen sich die Besucher allerdings selbst erarbeiten, und hier hätte die Böll-Stiftung leicht aushelfen können. Angefangen bei Birma und dessen in Asien gängiger Bezeichnung Myanmar, die seit 1989 von der agierenden Militärdiktatur festgelegt wurde. Oppositionelle – so wie sich der Maler Myint Swe versteht – legen Wert auf die Bezeichnung Birma, auch wenn sie irritierenderweise auf die englische Kolonialherrschaft zurückgeht. Und tatsächlich verbergen sich in Swes expressionistischer Malerei unter den Straßenansichten New Yorks typische birmesische Gondeln unter einer eckigen Spachtelschicht. Die konkreten Bilder der Menschen und deren kulturelle Identitäten scheinen so von den materiellen Infrastrukturen an die Wand gedrückt zu werden. Es macht Spaß, sich in der Menge von Werken treiben zu lassen. Unverständliches oder gar Ärgerliches ist man schnell bereit auszublenden, da die vielen spannenden Arbeiten fesseln und Lust auf mehr machen. Ein eindeutiges Bild steht am Ende des Rundgangs nicht. Wäre es so, dann wäre die Zerrissenheit zwischen Identität und Globalisierung wohl auch kein Thema mehr.

Bis 30. Januar. Katalog 12 €. Konferenz 20./21. Januar im Haus der Kulturen der Welt, Info www.boell.de