Alles nur aus Liebe zum Herrn Jesus

Ja, es gibt sie in Deutschland tatsächlich: Parallelwelten, in denen religiöse Fundamentalisten abgeschieden von der Mehrheitsgesellschaft ihren Ritualen nachgehen. Wo die Frauen schweigen, demütig das Kopftuch anlegen und Kinder gebären. Zum Beispiel im hessischen Lahn-Dill-Kreis

VON ASTRID GEISLER

Hätte Rebekka Hartmann nicht diesen Blick, man würde sofort zweifeln. Dass sie das wirklich freiwillig tut. All diesen Regeln folgen, sich unterordnen, schweigen. Und gerne sogar, ja – mit Freude! Ihr Gesichtsausdruck aber lässt keinen Zweifel zu. Er ist so, dass man gleich in der Bibel nachschlagen will oder im Gesangbuch, um das treffende Wort zu finden: nicht nur arglos oder unverdorben, eher rein oder gar jungfräulich.

Rebekka Hartmann hat ihre dunkelblonden Haare streng nach hinten gekämmt und zu einem langen Zopf geflochten. Sie hat dieses Haar niemals geschnitten und will das auch nie tun. Sie trägt alle Tage einen langen Rock. Bereitwillig akzeptiert sie die Rolle der Untergebenen ihres Ehemanns. Wie fast alles in ihrem Leben tut sie das für Gott. Rebekka Hartmann, 23, zählt nach der seit einigen Wochen beliebten Sprachregelung zur aufgeklärten christlich-abendländischen deutschen Mehrheitsgesellschaft. Sie würde das allerdings so nicht sagen. Die junge Frau nennt sich „errettet“.

Aufklärung? Teufelszeug!

Rebekka Hartmann gehört wie rund 80 der 1.100 Einwohner Uckersdorfs, einer Ortschaft am Rande des Westerwaldes, zu einer „Christlichen Versammlung“. Die freikirchliche Gemeinschaft hängt einem Weltbild an, das man als ähnlich rückwärts gewandt kritisieren könnte wie das fundamentalistischer Muslime.

Was allgemein als Errungenschaft der Aufklärung gilt – für viele Versammlungschristen ist es Teufelszeug. Die Gleichberechtigung der Frau, die sexuelle Befreiung, naturwissenschaftliche Erkenntnisse wie die Lehre von der Evolution – nichts davon hat Platz im Lebensentwurf dieser Christen. In den meisten Gegenden Deutschlands würden Rebekka Hartmann und ihr Ehemann Markus beäugt wie Erscheinungen aus einer anderen Zeit. Nachbarn und Kollegen würden sich wundern über den Lebenswandel des Paares. Darüber, dass beide Sex vor der Ehe für eine Sünde halten. Dass sie mit ihrem Mann Sonntagfrüh, Sonntagnachmittags und Mittwochsabends noch einmal die „Versammlung“ besucht. Dass sie dort gemeinsam mit den anderen Frauen schweigt und allein den Männern das Wort überlässt. Dass sie beim Gebet ein Kopftuch überzieht. Dass sie sich als Frau vornehmlich zur Kindererziehung berufen sieht.

In Uckersdorf aber nimmt niemand daran Anstoß, auch nicht in den anderen Dörfern und Kleinstädten dieser ländlichen Region im hessischen Lahn-Dill-Kreis. Die freikirchlichen Gemeinschaften haben hier viele Anhänger. Kaum eine Schulklasse, in der nicht mehrere Mädchen mit langen Röcken und langem Zopf sitzen. Parkplätze vor den Gemeindehäusern sind oft auch an gewöhnlichen Sonntagen so voll wie die anderer Kirchen nur zu Weihnachten.

Trotzdem will Rebekka Hartmann ihren richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen, sie reagiert vorsichtig auf die Fragen zu ihrem Glauben. Vielleicht fürchtet sie Missverständnisse, Gerede im Dorf oder in der Gemeinde. Man bekommt viele Absagen, auf der Suche nach einer jungen Frau wie ihr, die bereit wäre zu einem Gespräch über ihre Religiosität. Nein, erklärt zum Beispiel eine Mutter aus einem Nachbardorf am Telefon, das sei ein Missverständnis. Christentum sei keine Religion, sondern ein Glaube. Den müsse man einfach annehmen. Und dann erübrigten sich die anderen Fragen. Wer das nicht akzeptiere, der sei „wie die Pharisäer und die Juden“.

Rebekka Hartmann sagt so etwas nicht. Sie spricht sanft. Doch ihre Überzeugungen sind absolut: Was in der Bibel steht, gilt. Wörtlich. Egal worum es geht, egal wie viele tausend Jahre alt die Überlieferung ist. Wenn zum Beispiel in den Briefen des Paulus gefordert wird, dass die Frau „in der Stille mit aller Unterordnung“ lernen solle, dass sie nicht „über den Mann Herr“ sein dürfe, weil Gott zuerst Adam erschaffen habe, dass es ihre Bestimmung sei, dadurch „selig“ zu werden, „dass sie Kinder zur Welt bringt“, dann ist das Gebot. Wer versucht, „Gottes Wort“ zu interpretieren, wer hinterfragt, den historischen Kontext bemüht, der ist für die Hartmanns so etwas wie ein Rechtsbeuger.

Kein Leben ohne Versammlung

Eine Muslimin müsste sich in Deutschland für diese Auffassungen anprangern lassen, zumindest aber regelmäßig rechtfertigen. Rebekka Hartmann ist das als Christin offensichtlich nicht gewohnt. Immer wieder blickt sie Rat suchend zu ihrem Mann, der sich in Jeans und T-Shirt zur ihr aufs Ecksofa im Wohnzimmer gekuschelt hat: Was soll sie da groß erklären? Eigentlich ist es egal, ob die junge Frau selbst antwortet oder ihrem Mann den Vortritt lässt. Ihre Sätze wirken oft gestanzt. „Wir machen das alles nur aus Liebe zum Herrn Jesus.“ Noch Fragen? Nicht, dass Rebekka und Markus Hartmann mauern würden. Bereitwillig holt Rebekka ein hauchdünnes, weißes Stofftuch aus dem Nebenzimmer, das sie in der Gemeinde beim Beten trägt. Beide sind herzlich und locker, reden auch über Sex, geben sogar zu, dass sie bisher verhüten – was andere Gemeindemitglieder strikt ablehnen. Grundsatzfragen aber sind für das Paar dank der „Heiligen Schrift“ erledigt – heute und bis an das Ende der Tage.

Rebekka und Markus Hartmann kennen kein Leben ohne „Versammlung“. Ihre Eltern gehörten bereits der Gemeinschaft an, die Kinder wuchsen in den Glauben hinein. Am Beispiel ihrer Mutter lernte Rebekka die besonderen Regeln für Frauen als Selbstverständlichkeiten kennen und übernahm sie – freiwillig, wie sie immer wieder sagt.

Das muss aber nicht bedeuten: ohne Druck. Wie unbefangen entscheidet schon ein junger Mensch, die Apokalypse-Szenarien der Offenbarung vor Augen? Wenn er gelernt hat, dass alle Menschen, die nicht „errettet“ sind, am Jüngsten Tag des Satans Beute werden. Wenn er weiß, wie die Gemeinde regelmäßig Gott im Gebet anfleht, der Nachwuchs möge nicht abkommen vom Glaubensweg. Wenn er ahnt, wie schmerzlich der eigene Ausbruch sein würde für die Eltern.

Rebekka Hartmann hat selbst auch damit gerungen, in der Pubertät. Zuweilen hatte sie keine rechte Lust mehr auf die Gemeindestunden, auf die ständige Bibellektüre. „In dem Alter“, sagt sie, „wollten wir gern so sein wie alle anderen.“ Heute erzählt die 23-Jährige so belustigt davon wie Großväter von der Lausbubenzeit. Die beste Freundin in der Klasse, auch ein Versammlungsmädchen, sei damals ihre Verbündete gewesen. Gemeinsam hätten sie beide Anti-Rock-Aktionen geplant, hätten versucht, die Mütter von der extremen Frostigkeit vieler Wintertage zu überzeugen. Das hieß nämlich: Hosenwetter!

Vor dem Frühstück Bibelverse

Der Spaß hatte Grenzen. „Meine Mutter hat mir dann erklärt, dass es Gott einfach besser gefällt, wenn Frauen Röcke anziehen“, sagt Rebekka Hartmann. „Denn er wollte ja schon bei der Schöpfung, dass sich Mann und Frau unterscheiden.“ Mit 15 ging Rebekka Hartmann zur Taufe und wurde „errettet“. Dann suchte sie sich einen Mann, der das auch ist. Seit der Hochzeit vor zwei Jahren beginnen Markus und Rebekka ihre Tage gemeinsam mit der Heiligen Schrift, noch im Bett lesen sie einige Bibelverse. Vor dem Frühstück folgt ein gemeinsames Gebet, genau wie zu allen anderen Mahlzeiten. Vermutlich wird Rebekka Hartmann bald selbst Töchter großziehen, wird ihnen Röcke kaufen, Zöpfe flechten und beten, dass sich keines der Kinder vom Glauben abwende.

Man kann sich Rebekka und Markus Hartmann gut als treu sorgende, warmherzige Eltern vorstellen, wie sie so einträchtig auf der Wohnzimmercouch sitzen, an der Wand das Hochzeitsfoto, auf dem Tisch ein leuchtendes Weihnachtsgesteck. Irgendwo da draußen vor den heruntergelassenen Rollläden tobt seit Wochen der Streit um „Parallelgesellschaften“. Fetzen davon sind auch zu den Hartmanns durchgedrungen.

„Ziemlich kritisch“ sehe er den Islam, sagt Markus Hartmann: „Allein wegen dem heiligen Krieg. Das ist doch alles eine ziemlich aggressive Vorgehensweise.“ Aber irgendwie scheint dieses Gefecht doch in sicherem Abstand zu dieser Uckersdorfer Siedlungsstraße zu toben. Als wirklich bedrohlich jedenfalls empfinden die beiden den Islam in Deutschland nicht. „Eher traurig“, lautet ihr Urteil über den Lebenswandel der Muslime, die fünfmal am Tag beten und ihren Töchtern ein Kopftuch umbinden: „Die rackern sich echt ab, aber es wird nichts bringen. Weil sie das Falsche glauben.“