Ein Job wie jeder andere

Hartz IV macht‘s möglich: Die Vermittlung von langzeitarbeitslosen Frauen ins Rotlicht-Milieu. Rechtlich gibt es keine Untergrenze der Zumutbarkeit bei der Jobvermittlung. Arbeitsagenturen legen sich – noch – eine Selbstbeschränkung auf

von KAI VON APPEN

Das Thema weckt feministische Emotionen. „Das glaub‘ ich nicht, da ruf‘ ich sofort meine Rechtsanwältin an“, schimpft eine Kollegin. „Darüber berichten wir nicht, das verunsichert nur die Frauen“, fordert eine andere. Und selbst DGB-Sprecherin Claudia Falk zeigt sich anfangs entrüstet. „Nee, nee, nee! Das kann so nicht sein!“ Doch die Rechtslage sieht ab 1. Januar anders aus: Gemäß den Zumutbarkeitskriterien nach Arbeitslosengeld II könnten langzeitarbeitslose Frauen im Prinzip in seriöse Bordelle vermittelt werden – als Bedienung zum Beispiel, aber auch als Prostituierte.

Seit 2002 ist der Beruf der Prostituierten legalisiert. Die Tätigkeit der Sexarbeiterin ist damit ein Job wie jeder andere. Also bestünde für die Agentur für Arbeit kein Grund, nach der neuen Hartz IV-Gesetzgebung nicht in den Bereich „sexueller Dienstleistungen“ zu vermitteln. „Der Beruf gilt gesetzlich nicht mehr als sittenwidrig“, erläutert Mechthild Garweg, Fachanwältin für Familien- und Sozialrecht, die in Qualifizierungsgesellschaften Leute auf die Erwerbslosigkeit vorbereitet. „Es gibt juristisch keinen Hinderungsgrund, in diesen Dienstleistungsbereich zu vermitteln.“ Wenn eine Muslimin im Schlachthof Schweinefleisch verarbeiten, ein junger Mann sich als Nacktputzer und eine ehemalige Call-Center-Mitarbeiterin sich in der Telefonsexagentur verdingen müsse, „warum soll dann von einer erwachsene Frau nicht verlangt werden, ihr Einkommen durch kommerzielles Vögeln zu erzielen“, fügt Garweg provozierend hinzu. „Strafrechtlich gibt es auch keine Barrieren, höchstens kulturelle, gesellschaftliche und moralische Hemmungen.“

Das muss nach interner Recherche unter Experten auch DGB-Sprecherin Falk eingestehen. „Es gibt tatsächlich keine Untergrenze bei der Zumutbarkeit“, bestätigt sie, „da hat es der Gesetzgeber versäumt, Normen zu schaffen.“ Trotzdem setzt sie auf Einsicht. „Es herrscht hoffentlich Konsens, dass dies nicht durchsetzbar ist.“

Es gibt auch einen anderen Aspekt. „Bordelle und Prostituierte zahlen Arbeitslosen-, Kranken- und Sozialversicherung, dann haben sie auch ein Recht auf Vermittlung durch das Arbeitsamt“, klagt Stephanie Klee vom Bundesverband sexueller Dienstleistungen bisher Versäumtes ein. Alles andere „ist eine Diskriminierung von Prostituierten“. Im Kernbereich stimmen Bordellbetreiberin Klee und DGB-Sprecherin Falk aber überein: „Eine Frau kann in diesem Gewerbe nur arbeiten, wenn sie dazu bereit ist“, sagt Klee. „Es wäre auch nutzlos, mich als Krankenschwester zu vermitteln.“

Daher geht sie davon aus, dass die Arbeitsagenturen an ihrer Selbstverpflichtungserklärung festhalten, nicht in den Bereich Prostitution zu vermitteln. Diese Direktive gelte für „Gastronomie und Tabledance“ allerdings nicht. Auch Falk sieht da das große Dunkelfeld: „Es wird Grenzfälle geben. So die Kellnerin, die im kurzen Röckchen hinterm Bordelltresen stehen soll, oder die Tänzerin, die in ein Tabledance-Lokal vermittelt wird.“

Emilija Mitrovic, Sozialforscherin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und Verfasserin der ver.di-Studie „Arbeitsplatz Prostitution“, sieht unterschiedliche Aspekte. „Für sexuelle Dienstleistungen braucht man keine Ausbildung“, sagt die Forscherin. Trotzdem könne nach dem Prostitutionsgesetz keine Frau angewiesen werden, sexuelle Dienstleistungen gegen ihren Willen zu tätigen. Dieser Paragraph richte sich aber vornehmlich gegen das Weisungsrecht von Zuhältern oder Bordellbetreibern. Und es gebe auch im Erotikbereich großen Personalbedarf. Mitrovic: „Es ist sicherlich möglich, eine solche Arbeit abzulehnen, aber das könnte Probleme geben.“

Das bestreitet Knut Börnsen, Sprecher der Hamburger Arbeitsagentur. „Es gibt ja noch Sitte und Anstand.“ Daher werde nicht in Bordelle vermittelt. „Derartige Betriebe wenden sich nicht an die Agentur“, so Börnsen, „die haben andere Kanäle.“

Doch Einzelfälle hat es bereits gegeben. Und wenn es sich offiziell nur um einen Tresenjob im Bordell handelt? „Wenn eine Frau da nicht arbeiten möchte, dann akzepieren wir das“, sagt Börsen und schränkt zugleich ein. „Ob das Folgen hat, muss dann im Einzelfall gepüft werden.“

Emilija Mitrovic verweist indes darauf, wie schnell sich Normen und Werte ändern. „Die Gefahr ist ziemlich groß, dass die Praxis der Arbeitsgenturen umkippt.“ Denn schon jetzt seien die Arbeitsämter verpflichtet, der Polin, die mit einem Bordellbetreiber kommt, eine Arbeitsgenehmigung für sein Etablissement auszustellen.