Traumhafte Tropen

In einer Zeppelinhalle in Brandenburg öffnet Sonntag der Freizeitpark „Tropical Island“. Die Spaßtropen tun alles, um schöne Exotik zu simulieren

VON SUSANNE LANG

Plötzlich liegt sie da. Schiebt sich in den Blick, als wären die braunnadeligen Äste des märkischen Waldes genau in diesem Augenblick abgestorben, um den monströsen Kuppelbauch der Cargolifter-Halle freizugeben. Darin liegt es verborgen, das Paradies, wie seine Regisseure sagen, gut eine Stunde ratternde Bahnfahrt von Berlin entfernt: die Tropen, mitten in Brandenburg. Neben den Spreewaldgurkenfabriken, in der unbesiedelten Steppe der Niederlausitz, im kleinen Städtchen Brand, südöstlich von Berlin, glänzt es in silbriger Schönheit der Hallenhaut, die einst eine Firma bauen ließ, um Zeppeline zu bauen – ein anderer großer, geplatzter Traum.

Eine hoffnungslose Utopie? Ein absurdes Produkt einer gierigen Erlebnisgesellschaft, die sich selbst in größter Reformnot in den Untergang amüsiert? Das Tropenparadies, der Spaßbade- und Freizeitpark „Tropical Islands“, der morgen seine Welt für Besucher öffnen wird, ist vielmehr eine Antwort: auf das Reisen in einer globalisierten Welt. Auf Deutschland Ende 2004.

Das Tropenparadies im unnahbaren Osten – ein Hologramm der „00er Jahre Freizeit“: Keine Fiktion, sondern Simulation von ökonomisierten Urlaubswelten. Knallhart durchkalkuliert. Auf Erfolg programmiert.

Innenwelt

Modriger Dunst zieht in die Nasen. Der Schlamm lässt das Wasser grüngrau schimmern. An der Oberfläche schwimmen Schlieren. Diese Welt am Fuß des aufgeschütteten Hügels, mitten in der Halle, sie ist sofort als Sumpf identifiziert. Ein Bild. Eine Kulisse. Stimmig, wie auf das Pixel genau errechnet: die Matrix des Freizeitparadieses.

Der Sumpf steht ganz still. Kein Wind, der Wellen treibt. Keine Mücke, die surrt. Kein Leben. Momente, in denen sich die Matrix zu erkennen gibt – ganz ähnlich wie im gleichnamigen Film immer dann, wenn kleine Unstimmigkeiten auftreten. Die Fehler benennen: Diese Welt ist Simulation. Dreidimensional, aseptisch, ein entscheidendes Quäntchen zu authentisch. Diese Welt verspricht eine Reise durch einen begehbaren Katalog. Erwartbar. Schön anzusehen. Fern aller Unwägbarkeiten. Gefahrlos. Selbst der wohlgeordnete Sumpf eines TV-Dschungelcamps könnte mehr Abenteuer bergen.

Dieser Regenwald mit Sumpfambiente, eine der insgesamt vier Erlebniswelten der tropischen Inseln, die den Nahreisenden unterhalten wollen, zeigt, wie es sich in jeder Matrix gut lebt: Die Illusion will nicht hinterfragt werden. Ein durchschnittliches Vierstundenticket lang muss der Urlaub als echt geglaubt werden. Länger hält die allenthalben als tot, wenigstens ausgelaugt und erschöpft diagnostizierte Erlebnisgesellschaft nicht mehr durch.

Zeit- und Raummaschine

Vier Stunden, so ist die kleinste Aufenthaltseinheit im Paradies bemessen. Das 20-Euro-Ticket, um am Wochenende das zu leben, weshalb so viele reisen: die Nahwelt vergessen. Sich selbst in der Fremde wiederentdecken. Vier Stunden, ein Kurzausschnitt einer Freizeitwelt, die jedoch auf Rund-um-die-Uhr-Echtzeit programmiert ist: Getreu der Tropennatur geht die Sonne unter dem Dach der Halle morgens auf, taucht das Wasser in warmes Orange, ein Pixelspiel, eine reflektiert vom überdimensionalen Leinwandbildschirm, der mitten in der zweiten Insel, der Südsee, seine Oberfläche belichtspielen lässt.

4.000 Quadratmeter Meer stehen still um sie herum. Keine Wellen oder Wogen. Aber Sand. Liegestühle. Beach. Der später, viel später, die tanzenden Menschen umrieseln wird, wenn die Leinwandsonne zu Beginn der Tropennacht wieder untergegangen ist.

Der allzu perfekte Tag am Meer – in Brandenburg. Fluchtpunkt für den Alltag, der eine Fernreise selbst im Billigfliegerzeitalter immer seltener erlaubt. Die „Tropical Islands“ sind ein Fernerholungsgebiet in unmittelbarer Nähe. Hier findet die touristische Globalisierung ihre regionale Ausformung. Kein Problem, den Brandenburger Wald in eine Tropenlandschaft zu verwandeln. Wer dorthin reist, wird die prekär reformierte Nahwelt nicht ganz vergessen. Gereister Patriotismus.

Neu entdeckt haben sich dafür die tropischen Pflanzen, die nach Quarantäneaufenthalt in der Cargolifter-Halle eine neue Heimat gefunden haben. Und die exotischen Dörfer, wahrhafte Nachbildungen von thailändischen Häusern, balinesischen Toren, afrikanischen Hütten, die ebenfalls aus Originalmaterialen zusammengesetzt wurden. Modellexotik. Eingeflogene Tanz- und Musikgruppen aus Indien oder Brasilien trimmen die Fremde auf heimischen Lifestyle. Dazu einen Caipirinha – oder eine Pommes, auch das Großküchenangebot gibt sich global-regional. Brandenburg – die Landschaft blüht. Vier Stunden lang für alle, die wollen.

Die Utopie

Die Faszination für inszenierte Tropenwelten funktioniert immer noch – auch im digital aufgepeppten Erlebnispark, der „das Paradies so nah“ zur gelebten Realität machen will. Die „Tropical Islands“ knüpfen genau dort an, wo preußische oder französische Monarchen und Adlige aufgehört haben: bei Palmen- und Tropenhäusern, mit denen man bereits im 18. Jahrhundert die Wildnis als ideale, weil eben kultivierte Projektionsfläche zivilisierter Gesellschaften inszenierte. Palmenhaus Schloss Schönbrunn, Orangerie Sanssoucis, Berliner Pfaueninsel, der Wörlitzer Park bei Dessau: Sie alle haben die Welteroberung nach Hause geträumt, den kollektiven Sieg der Zivilisation gefeiert.

Die „Tropical Islands“ versuchen nichts als den Sieg der postindustriellen, globalen Zivilisation. Die Architektur der Cargolifter-Halle: „bespielt mit der tropischen Software“, wie die Eventmanager von „Tropical Islands“ es beschreiben. Von dieser alten Faszination werden auch die tropischen Inseln leben. Gut leben.

Die Membran

Der aufregendste Ort in der Brandenburger Tropenwelt ist ihre Schnittstelle zur Außenwelt. Dort, wo das Urlaubsspiel endet und die Realität von Brand beginnt. Während die Enden der zeppelinförmigen Industriehalle, die im Grunde die größte und einzige Sensation darstellt, die Innenwelt luft- und blickdicht abschließt, wird die echte Sonne durch den Mittelteil der Halle strahlen. Echte UV-Strahlen, die durch die Bahnen der Außenhaut dringen – einer Frischhaltefolie gleich, die das kostbare Innen vom Vergänglichkeitsprozess außen bewahrt.

Die Folien geben den Blick frei auf den Brandenburger Himmel – dementsprechend öffentlichkeitsarbeitswirksam als heimelig verkauft. Und selbst im Schneegestöber wird der Blick umso deutlicher klar machen: Diese Illusion verlangt viel ab. Denn draußen, da blüht sehr wenig. Die ökonomischen Verhältnisse der Tropen – immerhin sie sind in einer vertrauten Umgebung beherbergt.

Der Code

Die Schöpfungsgeschichte der Tropenwelt liest sich dementsprechend nüchtern. Kein Urknall, keine göttliche Kraft. Sondern ein Investor, ein gewiefter Geschäftsmann aus Malaysia, Mister Colin Au, der aus dem Code seines Geschöpfs auch kein großes Geheimnis macht: „BARS“. Buchstaben, die für Aus Geschäftsprinzipien stehen: „B für Berlin-Brandenburg, A für Authentizität, R für Return Vistits (wiederkehrende Besucher), S für Segments (mehrere Zielgruppen)“.

Während andere Entertainmentcenter wie der SpacePark in Bremen bereits aufgeben mussten, Pleite gingen, und der Markt für den zwar immer noch florierenden Freizeiterlebniskonsum sich langsam schließt, denkt Au bereits über weitere Tropenparks nach. An anderen Orten, europaweit, überall dort, wo die Landschaft karg und kalt genug ist, um sich als Dschungel bespielen zu lassen.

Außenwelt

Der größte Freizeitpark Europas mit 60.000 Quadratmetern Innenfläche in der größten Halle der Welt, die ohne Stützen gebaut wurde: eine neue Postindustrielandschaft. Eine schöne Postindustrielandschaft. Ein gigantischer Ort des Transits, ähnlich wie im Ruhrgebiet ganze still gelegte Kohlengrubenlandstriche, die ein Angebot machen: Sie schleusen durch den Alltag. All jene, die sich schleusen lassen wollen. Es könnte sich lohnen.