Im Wurmloch der Tagträume

Wie gehen Film Noir und Rock ’n’ Roll zusammen? Keith Gordon hat aus der britischen TV-Serie „The Singing Detective“ (1986) einen Film gemacht

Wenige Wochen vor seinem Tod im Juni 1994 sagte der britische Roman- und Drehbuchautor Dennis Potter in einem Interview, dass er nur eines in seinem Leben bedauern würde: wenn er „vier Seiten zu früh sterben würde“. Nun hat der US-amerikanische Regisseur Keith Gordon Potters „The Singing Detective“ verfilmt, und die schönste Szene darin ist die, in der die Schauspieler Mel Gibson und Robert Downey jr. zu Elvis Presleys „Three Steps to Heaven“ play-back singen und dabei unbeholfen durchs Bild tanzen. Vier Seiten und drei Tanzschritte – „The Singing Detective“ manövriert sich mit obsessiver Niedertracht durch zahlreiche Literatur- und Popmusikbezüge. Die für Potter charakteristische Mischung aus Nihilismus und Lüsternheit leistet in dieser Verfilmung Erstaunliches: Noch das letzte Hardboiled-, Pulp- und Rock-’n’-Roll-Klischee wird in beziehungsreichen Ironiekonstrukten zementiert, ohne dass dies komisch wäre.

Wenn dabei die Misogynie von der TV-Serie „The Singing Detective“ (1986) übernommen wurde, so ist dies bezeichnend. Denn auf vieles musste der Regisseur Gordon verzichten, um die siebenstündige Fernsehserie auf 100 Minuten einzukürzen; den schweinischen Jargon gegenüber den weiblichen Figuren freilich hat er beibehalten. Die suchen den Protagonisten Dan Dark (Downey jr.), den „Singenden Detektiv“, als Krankenschwester, mysteriöse Schönheiten oder auch als die eigene Ehefrau heim. Und während er selbst noch gegen seine Erektion ankämpft, ficken sich seine Romanfiguren – Dan Dark ist der Autor billiger Detektivgeschichten – zu Fünfzigerjahre-Jukebox-Hits wie Zuchtbullen durch Wahnfantasien. Ein wirklich reizendes Kerlchen.

Der Wahnzustand ist Dan Darks Realität. Eine seltene Hautkrankheit hat ihn ans Bett gefesselt. Fiebrig und von pockenartigen Flechten übersät gleitet er langsam in eine glamouröse Fieberfantasie, die doch bloß wie eine billige Film-Noir-Adaption aussieht. Hier ist Dark der „Singende Detektiv“, schmachtet sich mit affektierten Posen durch ein Set schmissiger „Eis am Stiel“-Songs und stellt nebenbei zwei Gangster kalt. Von seiner Außenwelt hat Dark sich schon so weit entfernt, dass echte wie fiktive Figuren spielend zwischen den Realitäten wechseln können. Wenn dann die Menschen um ihn herum plötzlich anfangen zu tanzen und zu singen, beginnt die fragile Konstruktion seiner Tagträume langsam nachzugeben. Das Wurmloch, das sich dabei auftut, reicht bis weit in seine Kindheit zurück.

Historisch gesehen versucht Gordon ein interessantes Cross-over: Zeitlich haben sich Film Noir und Rock ’n’ Roll kaum überschnitten. Als Bill Haley 1955 mit „Rock around the Clock“ den Rock ’n’ Roll erfand, hatte der klassische Film Noir seinen Höhepunkt überschritten. Robert Aldrichs „Rattennest“ war ein letzter, fieser Abgesang. Sam Spade, Philip Marlowe und Mike Hammer hätten mit der rebellischen Attitüde der nächsten Generation wohl kaum etwas anfangen können. Die TV-Serie spielte demgemäß in den 40er-Jahren, nicht in den 50ern.

Auch deswegen ist es enttäuschend, dass Robert Downey juniors Rock-’n’-Roll-Detective eher reaktionäre Züge ins freie Spiel der popkulturellen Zeichen bringt. Für unorthodoxe Methoden ist in „The Singing Detective“ ausgerechnet Mel Gibson verantwortlich. Als Darks Psychotherapeut praktiziert er so, dass es der stellenweise arg überheblichen Tonart des Films zuwiderläuft: verschmitzt, leise und im vollen Bewusstsein, gnadenlos unterschätzt zu werden. „Kleine Männer“, sagt Dark zu ihm, „sollten niemals sitzen, wenn ihre Füße nicht den Boden berühren. Das erinnert mich immer an Kinderreime.“ Als die beiden am Ende zu Elvis tanzen, ruht Downeys Kopf gerade mal auf Gibsons Schulter. ANDREAS BUSCHE

„The Singing Detective“. Regie: Keith Gordon. Mit Robert Downey jr., Robin Wright Penn u. a. USA 2004, 109 Min.