Wahrhaftig bezaubernd

Britta Neander, die bei Ton Steine Scherben, Carambolage und zuletzt bei der Gruppe Britta Schlagzeug spielte, ist tot

Sie war so freundlich und mädchenhaft, dass man sie zwischendurch gern mal in den Arm genommen hätte. Aber in der kalten Welt des Musikbusiness nimmt man warme Worte, aufmunternde Ratschläge und Heißgetränke gerne mal so mit, um sich gestärkt wieder in den Kampf, die Diskussionen zu stürzen. Vor allem, wenn die wieder mal davon handeln, wie es so ist für „Frauenrockbands“.

Britta Neander, so schien es, hatte „unsere“ Utopien schon in den Siebzigern durchlebt und auch ein bisschen wahr werden lassen: Sie musste nicht mehr durchdrehen in dieser Rockwelt, in der Schlagzeugerinnen auch im aktuellen Jahrtausend noch superselten sind. Denn Britta war kühn vorangegangen und hatte bereits in den Siebzigern bei Ton Steine Scherben gespielt. Zuerst Perkussion. Später Schlagzeug. Mit den Scherben fühlte sich die in Rodgau/Frankfurt aufgewachsene Tochter des früheren Welt-Redakteurs Paul Neander so, als würde sich die „Tür zu einer Welt öffnen, zu der mir vorher der Schlüssel fehlte“.

Hingebungsvoll lauschten wir ihren Geschichten aus den für uns unerreichbaren Siebziger- und Achtzigerjahren. „Unfassbar, sie hat echt bei den Scherben gespielt. Sogar auf der schwarzen Scheibe der Scherben. Sogar in Fresenhagen. Und dann auch noch tatsächlich, 1979, Carambolage, eine der ersten deutschen New-Wave-Girlbands gegründet.“ – „Carambolage“, den Namen kannte ich noch aus der Bravo. Deren Songs handelten nicht mehr von Revolution, sondern so angenehm panisch zum Beispiel von verloren gegangenen Lippenstiften. Wie man es von einer Vorreiterin des in den Neunzigern hoch gehandelten Lipstickfeminismus eben erwartete.

Mittlerweile, es waren die späten Neunziger, spielte Britta immer noch oder schon wieder Schlagzeug; in der eigens nach ihr benannten Lassie-Singers-Nachfolge-Band Britta. Und Britta, die Band, nahm gerade ihr Debut-Album „Irgendwas ist immer“ in einem Hamburger Studio auf. Die Monate vergingen. Es sollte schließlich eine große Platte werden. Ich und meine damaligen Bandkolleginnen von Parole Trixi trafen uns fast täglich mit den Brittas, Christiane Rösinger, Julie Miess und eben sweet Britta, in einem Hamburger Szenecafé, wo wir – was die Jungs können, können wir schon lang! – extra einen Musikerinnenstammtisch gegründet hatten. Britta saß meistens gedankenverloren und aufmunternd zugleich dabei und strahlte aus, dass wir uns alle gar nicht so aufregen müssen. So ist es halt, das Leben, die Liebe, die Studiokosten. Die Schulden.

Manchmal erzählte die alleinerziehende Mutter Britta Rebellionsstorys aus dem Leben ihrer frühreifen Tochter. Und ich lachte: Gut gemacht! Oder von ihrer Arbeit auf einem Kreuzberger Kinderbauernhof. Regelrecht ins Schwärmen geriet sie, wenn es ums Schlagzeugspielen ging. Noch kurz vor ihrem Tod erzählte sie ihrer Bandkollegin Christiane Rösinger in plötzlicher Euphorie, wie stolz sie darauf sei, eine Schlagzeugerin zu sein. Und wie wichtig das für ihr gesamtes Leben ist. Kein Wunder. Parole Trixi war so oft mit Britta auf Tour, dass ich immer wieder neue Facetten ihres Spiels entdeckte: Abend für Abend bewunderte ich ihren eigenwillig fragilen und druckvollen Stil.

Einmal hielt ich inmitten all der Hektik und Diskutiererei kurz inne, zutiefst gerührt von Britta: Auf meine Frage nach einem Pennplatz in Berlin erklärte sie verzweifelt, dass es ihr gesundheitlich gerade schlecht gehe und viel Platz sei auch nicht da. „Schon klar“, sagte ich, „dann frag ich mal jemand anderes.“ „Ach, weißt du was“, sagte Britta da plötzlich. „Eigentlich ist es doch gar kein Problem, dann schlafen wir halt in einem Bett.“ Da war sie wieder, ihre selbstverständliche Hilfsbereitschaft, gepaart mit dem Bohemegeist der frühen Hippies. Wahrhaftig bezaubernd. Britta Neander starb am Dienstag im Alter von 48 Jahren in einem Berliner Krankenhaus. SANDRA GRETHER