MATTHIAS URBACH über DER PERFEKTE KAUF
: Bitte kein Leben schenken

Viele Kinder wünschen sich Haustiere zu Weihnachten – wer diesem Wunsch nachgibt, hat bald Probleme

Sternschnuppe war so ein süßes Weihnachtsgeschenk. Das weiße Meerschweinchen war besonders klein, weil es beim Säugen immer zu kurz gekommen war, und rührte die Herzen von Julia und ihrer Mutter. Auf Anraten des Züchters nahmen sie noch ein zweites safranfarbenes dazu, ebenfalls von der Sorte „US Teddy“. Denn Meerschweinchen sind gesellige Tiere. Und weil die siebenjährige Julia keinen Namen für das unverhoffte zweite Tier parat hatte, teilte sie ihren Lieblingsnamen auf die beiden auf.

Doch nach sechs Wochen nahm das Glück eine jähe Wendung. Stern bekam Meerschweinchenlähme und schließlich war klar: Es musste eingeschläfert werden. Genau erklärte Julias Mutter der Kleinen, dass man das Tier jetzt „erlösen“ müsse, dass es „eingeschläfert“ werde. Als die Sache vorüber war, sah sich die kleine Julia das Fellknäuel auf dem metallenen OP-Tisch des Tierarztes an: „Mama, ist Stern jetzt erlöst? Wann wacht es denn wieder auf?“ – und ihrer Mutter wurde schlagartig klar, dass sie das Wort „sterben“ leider vergessen hatte zu erwähnen.

Ein Haustier steht auf dem Wunschzettel vieler Kinder, und viele Eltern sind gewillt, es ihnen zu gewähren. Schließlich hilft ein Tier, den Kreislauf des Lebens zu verstehen. Nebenbei lernen die Kinder noch ein wenig Verantwortung übernehmen. Ein Haustier ist also zu Weihnachten der perfekte Kauf.

So weit die Theorie. In der Praxis sind es nicht die Kinder, eher die Tiere, die die Härten des Lebens zu spüren bekommen. Eingesperrt in engen Käfigen, kaum beachtet landen jährlich hunderttausende von ihnen im Tierheim. Andere haben weniger Glück und verenden im Mülleimer an der Autobahnraststätte oder erfrieren im Park.

Auch Julia hatte nach dem Schock mit Stern plötzlich alle Lust an Schnuppe verloren. So was Schreckliches wie mit Sterns Tod wollte sie „nie wieder“ erleben. Sie verschenkte Schnuppe an eine Klassenkameradin.

Um dem Durchhaltevermögen eines Siebenjährigen zu entsprechen, sollte ein Haustier die Lebenserwartung einer Stubenfliege haben – und pflegeleicht sein wie eine Hydrokultur. Die Nasa hat ein durchsichtiges Nährgel entwickelt. Ameisen bohren monatelang kleine Tunnel in das blau schimmernde „Antquarium“. Verendete Tiere werden von den reinlichen Kollegen an die Oberfläche getragen.

Leider schnurren Ameisen nicht, wenn man sie am Bauch krault. Kuschelige Tiere hingegen sind nicht nur anspruchsvoller – sie leben auch länger. Selbst Meerschweinchen bringen es locker auf sieben Jahre.

Und wenn die Natur die Lebensspanne einmal gnädig abkürzt, ist es eben auch nicht richtig. Wie bei Flöckchen, dem molligen Angorakaninchen meines Patenkinds. Eines lauen Sommertages wurde es von einem Greifvogel aus seinem Gartenkäfig gezerrt – in Einzelteilen, versteht sich, am Stück passte es ja nicht durch die Maschen. Zwar war die Begeisterung des Jungen für sein Kaninchen bereits deutlich abgekühlt, aber seine Mutter zog es vor, auf Knien Flöckchens Fellfetzen aus dem Rasen zu pflücken, bevor er etwas merkte. Für alle Fälle kaufte sie dann doch ein neues Karnickel.

Fragt man den Tierschutzverein, sind Kaninchen oder Meerschweinchen sowieso keine geeigneten Präsente: Man solle lieber erst mal ein Fachbuch übers Wunschtier verschenken, um das Kind vorzubereiten – und seine Eignung zu testen. Doch irgendwie ist das so, als würde man seinem Kind statt der Ritterburg den Playmobil-Katalog unter den Baum legen.

Den Wunsch ganz abzublocken, ist ebenfalls nicht einfach. Haben doch schon so viele andere Eltern nachgegeben – was die moralische Kraft der kindlichen Argumente beträchtlich verstärkt. So gilt es, zumindest eine Empfehlung der Tierschützer ernst zu nehmen: Die Eltern sollten ein Tier aussuchen, dass ihnen gefällt. Schließlich müssen sie früher oder später selbst den Pflegedienst übernehmen.

Fazit: Vielleicht doch das Antquarium?

Fragen zu Haustieren? kolumne@taz.de DIENSTAG: Bernhard Pötter über KINDER