Zum Fest ein bisschen Sozialstaat

Ein neu gegründeter Zusammenschluss aus Gewerkschaften, Kirchen und Sozialverbänden wünscht sich kurz vor Weihnachten einen gerechteren Staat. Die Forderungen aber bleiben schwammig

AUS DÜSSELDORF NATALIE WIESMANN

Gewerkschaften, Kirchen sowie die kommunalen Spitzenverbände und der Sozialverband VdK in Nordrhein-Westfalen haben sich erstmalig zu einem breiten sozialen Bündnis zusammengetan. Sie forderten gestern in ihrer gemeinsamen sozialpolitischen Erklärung einen „verlässlichen und solidarischen Sozialstaat“. Dazu stellten die Partner „Orientierungspunkte“ für den Bereich Arbeit, Bildung, Familie sowie für die Renten- und Behindertenpolitik auf.

Es gebe zwar Reformbedarf in unserer Gesellschaft, so DGB-Vorsitzender Walter Haas. „Aber nicht jede als Reform titulierte Regelung der vergangenen Monate ist die richtige Antwort auf den Veränderungsbedarf“, kritisiert er. Eine lebendige Demokratie funktioniere nur so lange, wie die BürgerInnen das Gefühl haben, dass sie gleiche und gerechte Chancen haben.

Dass dies zur Zeit nicht so ist, zeigt Haas am Beispiel der Arbeitsmarktreformen auf: Menschen, die bereits 30 oder mehr Jahre gearbeitet haben, würden bereits nach einem Jahr Arbeitslosigkeit zu Sozialhilfeempfängern mit intensiver Bedürftigkeitsprüfung und Kontrolle durch „Sozialsheriffs“ degradiert. „Das wird von den Bürgern und Bürgerinnen als äußerst ungerecht empfunden“, sagt Haas. Unsozial sei es auch, dass 25 Prozent der heutigen ArbeitslosenhilfeempfängerInnen gänzlich aus dem Bezugssystem und damit auch aus jeder Förderung herausfallen. Als Folgerung daraus fordert das neue soziale Bündnis jedoch nicht die Zurücknahme von Hartz. Seine konkreten Forderungen belaufen sich auf kleine Korrekturen wie die Förderung von Existenzgründern und mehr Möglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung.

Mehr Chancengerechtigkeit in der Bildung fordert Nikolaus Schneider, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Dafür müsste das deutsche Bildungssystem jedoch aufhören, zu selektieren und stattdessen fördern, so Schneider. Als Mitglied des Zukunftsrats NRW teile auch er dessen Forderung nach einem Zusammenbleiben der SchülerInnen bis zur zehnten Klasse. Doch auch in dem herkömmlichen Schulsystem ließe sich die Förderung des Nachwuchses realisieren, rudert er dann zurück. „Am wichtigsten ist eine Reform der Lernbedingungen“, sagt er. Konkret hieße das, die Klassengrößen zu reduzieren und mehr Lehrer einzustellen.

Eher vage blieben auch die Forderungen im Bereich der Alten- und Behindertenpolitik. Um die Rente zu sichern, müsse der Beschäftigungssteigerung oberste Priorität zukommen. Und die Gesetze zur Behindertenpolitik auf Bundes- und Landesebene sollten endlich mit Leben ausgefüllt werden, so VdK-Landesvorsitzender Friedrich Noth. Die gemeinsame Erklärung habe nicht den Anspruch, die Gesellschaft neu zu entwerfen, erklärt Präses Schneider auf die Frage, was denn an den Forderungen so neu sei. Doch eine Zusammenarbeit der Verbände hält er für ein „mittleres Wunder. In keinem anderen Bundesland gibt es ein solches Bündnis.“