Spiel mit Grenzen

Hans Magnus Enzensberger will die Andere Bibliothek einstellen. Der Eichborn Verlag aber besteht auf der Einhaltung längerfristiger Verträge

Es scheint zur Regel zu werden: Alle Jahre zu Weihnachten gibt es Unruhe beim Frankfurter Eichborn Verlag. Letztes Jahr war es die Entlassung des erst genau ein Jahr zuvor eingestellten Geschäftsführers Peter Wilfert, die bewies, dass sich jahreszeitlich gebundene Nächstenliebe und fortlaufende Verlagsgeschäfte ausschließen. Dieses Jahr ist es Hans Magnus Enzensberger, der für Wirbel sorgt. Enzensberger und sein Partner Franz Greno wollen zum 30. September 2005 die von ihnen 1985 gegründete und herausgegebene Andere Bibliothek einstellen.

1989 von Eichborn erworben, gilt die Andere Bibliothek mit ihren monatlich erscheinenden Büchern als bibliophiles Vorzeigeprojekt: limitierte, in Leder eingebundene Ausgaben, anfänglich gar noch im Bleisatz, die auch inhaltlich ihrer Aufmachung entsprechen und eine große Bandbreite von belletristischen Titeln und Essaybänden, von besonderen Reportagen (Gabriele Goettles „Experten“!) und Gedichten aufweisen.

Dabei ist die Andere Bibliothek nicht nur etwas für Sammler und Entdecker, sondern zeitigte gar manchen Verkaufserfolg, wie etwa Christoph Ransmayrs „Letzte Welt“ oder Prinz Asfa-Wossen Asserates „Manieren“-Band bewiesen. Enzensberger hat nun lapidar mitgeteilt, es sei jetzt, nach einigen Überraschungserfolgen wie eben „Manieren“ oder dem zumindest medial voll eingeschlagenen Humboldt-Projekt, der „ideale Zeitpunkt“, um aufzuhören: „Was lange währt, muss aber nicht ewig dauern.“ Das sieht man bei Eichborn anders. Was Enzensberger als „Spiel“ bezeichnet, ist eben auch Geschäft und der Kampf um Reputation. Überrumpelt von der lediglich per E-Mail an ein paar Autoren und Freunde gegangenen Mitteilung hat der Verlag erklärt, eine Kündigung sei „weder begründet noch begründbar“. Der Vertrag laufe erst Ende 2007 aus, zudem gebe es Buchverträge bis Mitte 2006.

Da steht also ein Streit vor den Gerichten an, sosehr die Beteiligten auf gütliche Einigung aus sind. Die Rechte an der Anderen Bibliothek behält der Eichborn Verlag so oder so – es könnte also sein, dass Enzensberger als Herausgeber ausscheidet, die Andere Bibliothek aber von Eichborn unter einem anderen Herausgeber fortgeführt wird. Und wiederum Enzensberger anderweitig als Entdecker von entlegenem Schriftgut weitermacht. Zwei Andere Bibliotheken oder keine, das ist nun die Frage. Nur gut, dass gute Literatur auch in weniger luxuriöser Ausstattung gute Literatur bleibt. GERRIT BARTELS