Männer schauen sich an

Men‘s Studies, Maskeraden und Metrosexualität: Der heterosexuelle Mann, einst Monopolist des Blicks, rückt ins akademische und künstlerische Blickfeld – zum Beispiel im Oeuvre Neil LaButes

VON DANIEL SCHREIBER

„Fat Pig“, das neue Theaterstück des Parademisanthropen Neil LaBute, bohrt den Finger in die Wunde. Die Begegnung zwischen einem adretten Yuppie im Armani-Anzug und einer fülligen Bibliothekarin auf der Bühne des Lucille Lortel Theaters im New Yorker West Village sprüht Funken. Auf brokatenen Sitzkissen, umrahmt von Chrom und Plexiglas, knistert es nicht nur gewaltig zwischen den beiden. Die Zuschauer in der aufregendsten Theaterpremiere der Saison spüren auch die Unsicherheit, die der eben noch ganz selbstbewusste Schauspieler Jeremy Piven plötzlich ausstrahlt. Nach langem Schweigen und einem zaghaften Lächeln sagt dieser schließlich, dass er nicht wisse, wie er sich verhalten solle. Er habe nur gelernt, wie man Dinge wegkickt oder ihnen die Federn ausreißt, nicht aber, wie man über seine Gefühle spricht.

Wie gewohnt bei Neil LaBute kommt der heterosexuelle Mann sehr schlecht weg. Ob in brutalen Dramen wie „Bash“ oder formidablen Filmen wie „Nurse Betty“ und „In the Company of Men“, LaButes Männer sind immer emotional gestörte Individuen, die nur knapp oder gar nicht an der Grenze zum sozialen GAU vorbeischrammen. Ihre beste Eigenschaft, so LaBute, sei, dass er mit ihnen keine Beziehungen haben müsse.

Und er ist nicht der einzige. LaBute steht Pate für einen Trend, der den heterosexuellen Mann, ehemals selbst Inhaber des Blickmonopols, ins Blickfeld rückt und ihm eine handfeste Krise attestiert. Waren die literarischen Männerhelden bei John Updike und Philip Roth noch Potenzprotze, die nach einigen Freiflügen immer wieder auf ihren patriarchalen Füßen landeten, wird in der gegenwärtigen Literatur Männlichkeit als Problem wahrgenommen. Das wird nicht von Frauen artikuliert, sondern – in Romanen von Maxim Biller oder Jonathan Franzen – von den Männern selbst.

Am deutlichsten wird dieser Trend in den Kulturwissenschaften. Der Mann ist in der letzten Zeit wie kein anderes Thema zum modischen Forschungsobjekt avanciert. In Amerika, wo für jedes neue Aufgabenfeld auch gleich ein neues Fach gegründet wird, nehmen die Men’s Studies die tradierte Männlichkeit als hegemoniale Machtbeziehung ins Visier. Postfeministische Theorie und Queer Studies haben schon seit Jahren versucht, Maskulinität als Technik und Strategie der Macht zu entlarven. Akademiker wie Robert Connell geben diesem Begehren eine neue, selbstkritische Stoßrichtung und untersuchen etwa die höhere Gewaltbereitschaft der Männer oder ihre sexualisierten und alkoholisierten Initiationsriten auf dem Weg zur Männlichkeit. Die Psychologen der Forschungsrichtung suchen nach Erklärungen für die schlechten Noten und das bedenkliche Sozialverhalten von Schuljungen.

In Deutschland sprechen Kulturwissenschaftlerinnen wie Claudia Benthien und Inge Stephan nunmehr von Männlichkeit als Maskerade, einem Konzept, das traditionellerweise eher mit der Inszenierung von Weiblichkeit assoziiert wird. Allgemeiner Konsens scheint eine gesellschaftlich zu beobachtende Unsicherheit demgegenüber zu sein, wie es ist und was es heißt, ein Mann zu sein. Den Männern bliebe, da die kulturelle Diskreditierung des konventionellen Männerbilds voranschreite, ihre Männlichkeit nur noch als Spiel des Infragestellens, des Zitierens und des gegenseitigen Überbietens.

Mit an den Gender Studies geschultem Instrumentarium sägen Kulturwissenschaftler also endlich auch an der klassischen Definition von Maskulinität. Die Identitätskonzeption vom dominanten Mann erscheint aus akademischer Perspektive als eine brisante, gesellschaftliche Deformation mit Neigung zu emotionalem Stoizismus, Körperferne und übertriebenem Autonomiezwang. Machtstreben und aufgesetzte Selbstsicherheit würden heute eher als Äußerung von psychischen Defiziten wahrgenommen.

Auch Medienwissenschaftler wie Steve Craig, die Werbespots und Fernsehserien nach Männerbildern untersuchen, haben den kulturwissenschaftlichen Ergebnissen kaum etwas entgegenzusetzen. Neue, überzeugende Männlichkeitsentwürfe sind rar. Vielmehr befinde sich der Mann im Selbstdefinierungsvakuum, im luftleeren Identitätsraum der ewigen Adoleszenz. Men’s Health und Gillette-Werbung können darüber nicht hinwegtäuschen, reduzieren sie den Mann doch auf Muskelmasse, Rasurkompetenz und Unterhosendesign. Selbst die immer mal wieder gern herbeizitierte Metrosexualität ist weniger ein Ausweg als ein neues Label für die grundsätzliche Unsicherheit.

Auch wenn LaBute eher den Eindruck macht, als hätte er eine Menge „Sex and the City“ gesehen und nicht in den Readern der Men’s Studies geblättert, würde er wohl keinem dieser Akademiker Träumerei oder Realitätsferne attestieren. Jeremy Piven, sexy US-Film- und Fernsehstar, spielt in der LaBute-Premiere jedenfalls gekonnt all die Variationen des verunsicherten Mannes durch. Wenn er sich vor der Verantwortung gegenüber der Ex-Freundin drückt, gibt er den unschuldigen Jungen. Wenn es die Situation verlangt, kann er auch den coolen urbanen Typen spielen oder den scherzenden Kumpel. Aber zumeist geht er mit seiner übergewichtigen Verehrten ziemlich hilflos um. Er scheint in sozialen Situationen, die Fingerspitzengefühl erfordern, einfach nicht so gut zu sein. Die amour fou zerbricht letztlich an den beißenden Spotttiraden seines Bürokollegen, der ihn durch rivalisierendes Kalkül zum Rückfall in die konventionelle Männeridentität zwingt. Dabei wird dann auch klar, wie viel sympathischer die unsicheren Männer in ihrer Inszenierungsfalle doch gegenüber ihren traditionellen Counterparts sind. Der Bürokollege ist so sehr Mann, dass er immer, wenn er Nettes über andere Männer sagt, hinzufügen muss, dass er nicht wie „irgendein Elton John klingen möchte“.