Süchtig nach Bärchenwurst

Zuerst wird die Mutter mit dem geöffneten Bademantel erschreckt und am Ende dann fröhlich gesportelt: Lothar Lamberts neuer Film „Aus dem Tagebuch eines Sex-Moppels“ erzählt von den Liebes- und anderen Nöten eines dicken Fahrradtaxifahrers

Erstaunlich ist wieder einmal, dass alles wieder irgendwie authentisch wirkt

VON DETLEF KUHLBRODT

Die Produktivität von Lothar Lambert ist ungebrochen. Jedes Jahr gibt’s einen neuen Film, manchmal auch zwei. Sie kommentieren und zitieren sich gegenseitig, und der Kreis der wahlverwandten Darsteller, die Lambert-Familie, mit ihren komischen neurotischen Onkels und Tanten, wandelt sich dabei langsam – wie im echten Leben. Über vier, fünf Filme verändert sich das Filmteam kaum, dann tauchen wieder neue Leute auf, und einige von ganz früher, wie die Fotografin Erika Rabau, sind seit 25 Jahren dabei.

Lamberts dreißigster Film „Aus dem Tagebuch eines Sex-Moppels“ ist eine Art Gegenstück zu einem seiner berühmtesten Filme, der „Alptraumfrau“ von 1980. „Die Alptraumfrau“ erzählt in mutig expliziten Bildern von einer depressiven, sexuell frustrierten Frau Anfang dreißig – der legendären Ulrike S. –, der es langsam gelingt, sich aus ihrem Ehekorsett zu befreien. Anfangs strippt sie vor dem Fernseher, und ihr Mann sagt, sie solle aus dem Bild gehen, am Ende singt sie in einer Punkband. Im „Sex-Moppel“ nun geht es um Andi (Michael Sittner), einen dicken Fahrradtaxifahrer in mittleren Jahren. Er hat Probleme mit seiner Mutter, gespielt von der 80-jährigen Eva Ebner, die Lambert in seinem vorherigen Film porträtiert hatte. Sie tyrannisiert und bemuttert ihn zugleich, er ist einsam, süchtig nach Bärchenwurst und führt ein Tagebuch, dessen Eintragungen lamberttypisch mit „Liebes Tagebuch“ beginnen.

Vergeblich versucht Andy, seine Probleme mit einer Therapie in den Griff zu kriegen. Als Einzige scheint ihn seine ebenfalls recht korpulente Schwester zu verstehen, zu der er ein inzestuös gefärbtes Verhältnis hat. Häufig verliert er sich in erotischen Tagträumen, wo er eine Maske und einen Bademantel trägt, den er öffnet, um die Therapeutin, die Mutter und die Putzfrau zu erschrecken. Dann lacht er böse und brüllt die erschreckten Frauen an: „Guck ihn dir an.“ Unklar bleibt, ob dies Fantasie oder Wirklichkeit ist.

In einer traurig-rührenden Szene hat Andi Sex mit seinem Teddybären und beobachtet den Rest des Tages mit einem Fernrohr leicht bekleidete Frauen – weil er seinen Spaß eben alleine hat, wie er seiner Tante erklärt, die ihn dabei überrascht. An Problemen mangelt es dem „Sex-Moppel“ nicht, aber er versucht, alles in den Griff zu bekommen. Er geht auf den Christopher Street Day, freut sich, dass die Männer auf dem Wagen der „Spreebären“ genauso korpulent sind wie er selber – nur leider ist er nicht schwul. Auf der Suche nach Anerkennung schauspielert er in „Lick an apple like a pussy“, dem Film eines Undergroundregisseurs. Erwartungsfroh besucht er mit Mutter und Schwester die Premiere. Doch das Publikum lacht nur, wenn der Dicke ins Bild kommt.

Am Ende gibt es womöglich Rettung durch eine sexhungrige und ebenfalls korpulente Nachbarin. In der Schlussszene sieht man beide fröhlich hintereinander auf einem Laufband im Fitnessstudio sporteln. Erstaunlich ist wieder einmal, dass alles irgendwie authentisch wirkt, obgleich oder vielleicht auch gerade weil die einzelnen Bestandteile der Geschichten unglaubwürdig sind: nicht nur der Exhibitionist als Erschrecker, sondern allein schon, dass so ein Dicker Fahrradtaxifahrer ist. Interessant auch die innere Verschachtelung des Films: Den „Underground“-Film, in dem Andi scheitert, gibt es wirklich. Und die Aufnahmen von dessen Premiere sind dokumentarisch und spielen in der „Brotfabrik“.

„Aus dem Tagebuch eines Sex-Moppels“, Regie: Lothar Lambert, D 2003, 76 Min.; ab 23. 12. in der Brotfabrik