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: Die deutschen Bischöfe und die Fröhlichkeit der Armut

Es war einmal, da gab es gute und schlechte Arme. Die guten Armen, das waren all jene Bedürftigen, die offensichtlich nichts für ihre Notlage konnten: Kinder, Mütter, Witwen, Kranke, Alte und Heimatlose. Die schlechten Armen, das war das „faule Gesindel“, das arbeiten konnte, aber anscheinend trotzdem lieber bettelte.

 Die Zeit der guten und der schlechten Armen ist noch gar nicht lange her: Diese Weltsicht herrschte bis ins 19. Jahrhundert; es war die Weltsicht der alldominanten christlichen Kirche. Erst durch die Industrialisierung, erst durch die Säkularisierung, erst durch die Verelendung des Proletariats wurde vielen klar: So moralisch simpel ist die Welt nicht.

Man wusste, die Arbeitslosen sind nicht immer schuld, wenn sie keinen Job finden. Neben den individuellen Motiven können auch übermächtige gesellschaftliche Strukturen existieren, die es unmöglich machen, alle Willigen mit Arbeit zu versorgen. Stichworte waren etwa Konjunkturkrise, Wachstumsschwäche oder auch Produktivitätsfortschritt. Lange schien es undenkbar, dass dieses soziale Wissen je wieder verloren gehen könnte. Doch jetzt ist genau dies zu erleben. Es setzt eine Remoralisierung der Armut ein – das zeigten erneut die Weihnachtsansprachen der Bischöfe und des Bundespräsidenten.

 Kardinal Lehmann bedauerte vor allem die armen Kinder; sein evangelischer Kollege Bischof Huber fühlte mit den absolut Hilflosen, die im Wortsinne auf der Straße leben. Beide Gruppen gehören traditionell zu den guten Armen. Bundespräsident Köhler wiederum ist beeindruckt von der Fröhlichkeit der armen Afrikaner. Dass Armut glücklich macht, wussten die Kirchen schon immer, schließlich konnten Reiche kaum je aufs Jenseits hoffen.

 Wenig überraschend: Alle drei sind überzeugt von den Arbeitsmarktreformen Hartz IV, die ebenfalls an das 19. Jahrhundert erinnern. Schon der Slogan „Fördern und fordern“ lässt anklingen, dass man nur beim Einzelnen ansetzen muss, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Da wird wieder genau jene Faulheit unterstellt, die man schon im 19. Jahrhundert bei den schlechten Armen vermutete.

 Diesen sozialpolitischen Rückschritt begleiten die Kirchen umfassend konsequent: Auf ihrer Herbsttagung beschlossen die Bischöfe, dass ihr wichtigstes Anliegen die „Mission“ sein müsse. Vor allem Deutsche sollen wieder glauben. Und wer weiß, vielleicht klappt es. Anderer Trost ist ja nicht in Sicht. ULRIKE HERRMANN