In Rüsselsheim regiert das Mobbing

Die nötigen „freiwilligen“ Kündigungen lassen die Kollegialität schwinden, beklagen die Sozialpfarrer des Opel-Stammwerks. Ausländer und Behinderte geraten besonders unter Druck. Jetzt schließt auch Hyundai seine Europazentrale und wandert ab

Zu Weihnachten erreichte die Autostadt noch eine Hiobsbotschaft

AUS RÜSSELSHEIMKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

„Freiwillig“ sollen knapp 10.000 Beschäftigte bei Opel kündigen und in noch zu gründende Auffanggesellschaften wechseln oder Unterschlupf in ausgelagerten – sprich: verkauften – Betriebseinheiten finden. So jedenfalls sieht es die Vereinbarung zwischen dem Gesamtbetriebsrat von Opel und dem AG-Vorstand von Mitte Dezember vor. Doch von dieser vor allem vom Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Klaus Franz so vehement beschworenen „Freiwilligkeit“ kann keine Rede sein.

Was sich in den Tagen vor Weihnachten im Rüsselsheimer Opel-Stammwerk abspielte, könne nur noch als „Mobbing“ bezeichnet werden, konstatierten passend am Heiligen Abend via Lokalpresse der katholische wie der evangelische Betriebsseelsorger. Auch Betriebsrat Eugen Kahl von der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsräte (AUB), die inzwischen auch über eine „Schwesterorganisation“ im Opelwerk Bochum verfügt, machte im Gespräch mit der taz kurz vor Weihnachten auf den „ungeheueren Druck“ aufmerksam, der von den Bereichs- und Abteilungsleitungen aktuell auf die einzelnen Mitarbeiter ausgeübt werde.

Inzwischen sei in fast jeder Abteilung bekannt, wie viele Mitarbeiter dort ihre Arbeitsplätze verlieren sollen. In manchen Fällen, so Kahl,mehr als 50 Prozent – „und das sorgt für böses Blut“.

Dabei hatte Gesamtbetriebsratschef Chef Franz doch die Parole ausgegeben, dass kein Werksangehöriger im Zusammenhang mit dem Stellenabbau „genötigt“ werden dürfe. – „Gemobbt“, stellen der katholische Geistliche Hans Zinkeisen und der evangelische Sozialpfarrer Volkhard Guthbeiden dagegen, würde sehr wohl: allen voran ausländische Kollegen und Schwerbehinderte. „Weil du da bist, wird der Druck auf unsere Abteilung besonders groß“, bekämen Türken und Marokkaner, die oft schon seit Jahrzehnten bei Opel arbeiteten, jetzt immer öfter zu hören. Auch die Behinderten, denen Franz erst vor knapp zwei Wochen versprochen hatte, dass ihre Arbeitsplätze nicht angetastet würden, hätten unter der gegenwärtigen Stimmung zu leiden. Von Kollegialität jedenfalls sei „nichts mehr zu spüren“, so die beiden Pfarrer besorgt.

Wie AUB-Mann Kahl kritisieren jetzt auch Zinkeisen und Guth die geplanten Beschäftigungsgesellschaften. Sie böten eine „unsichere Perspektive“, es gebe vor allem „schlechte Erfahrungen“ damit. Neue Arbeitsplätze für entlassene „Opelaner“ dürfte es in der Region ohnehin kaum geben. Selbst die „Jobmaschine Flughafen“ in Frankfurt am Main habe längst ausgedient. Bei Lufthansa Cargo zum Beispiel seien gerade erst „reihenweise Leute entlassen worden“. Dass in der Region keine Jobs mehr zu haben sind, hatte zuvor auch schon der Leiter der Bundesagentur für Arbeit in Rüsselsheim erklärt. Er forderte die Betroffenen zur „Flexibilität“ auf: Arbeit suchen, überall in Deutschland, auch im Ausland.

Rechtzeitig zu Weihnachten erreichte die Autostadt Rüsselsheim dann noch eine Hiobsbotschaft: Der koreanische Autobauer Hyundai verlegt seine erst im September 2003 in Rüsselheim eröffnete Europazentrale schon 2006 nach Offenbach. Nur die Abteilung Forschung und Entwicklung soll bleiben – und damit knapp 400 Arbeitsplätze, vornehmlich für Koreaner. Dabei hatte die Stadt mehrere Grundstücke für die von Hyundai eigentlich angekündigte Erweiterung der Europazentrale frei gehalten und den Koreanern schon im Vorfeld der Standortentscheidung großzügigste Konditionen eingeräumt. Rüsselsheims Oberbürgermeister Stefan Gieltowski (SPD) hatte sich persönlich an den Konzernchef von Hyundai in Seoul gewandt – eine Antwort hat er nie erhalten.

„Die Ratten verlassen das sinkende Schiff“, kommentierte ein Geschäftsmann in der City am Heiligen Abend die Hyundai-Entscheidung. Die Opelstadt im Niedergang? Man habe nie erklärt, in Rüsselsheim „Hyundai City“ aufbauen zu wollen, ließ das Unternehmen über einen Sprecher mit feinem Sarkasmus ausrichten.