DAS ERDBEBEN IM INDISCHEN OZEAN RÜCKT DIE KÜSTEN INS BLICKFELD
: Der Sog der See

Die verheerende Flutwelle im Indischen Ozean nahm ihren Ausgang, als der Meeresboden vor Westsumatra am Sonntag morgen zu beben begann. Rund 24.000 Menschen – vermutlich sehr viel mehr – rissen die Wassermassen in Sri Lanka, Indien, Indonesien, Thailand und auf den Malediven in den Tod, und führten auch hierzulande zum abrupten Ende weihnachtlicher Besinnlichkeit.

Was an dem Ereignis besonders überrascht, ist seine Wucht. Einige meterhohe Wellen haben binnen weniger Minuten ganze Küstenstädte in tödliche Trümmerhalden verwandelt und Millionen obdachlos gemacht. Und eine ganze Weltregion ist davon betroffen. Für die prognostizierte Zunahme treibhausbedingter Wetterextreme und Sturmfluten lässt das nichts Gutes erahnen.

Gewiss, bei dem Seebeben handelt es sich um eine Naturkatastrophe. Es ist nicht menschengemacht, sondern wurde durch die Plattentektonik verursacht. Was aber in der menschlichen Macht liegt, ist, die Folgen solcher Katastrophen von vornherein zu begrenzen. Unser globales Siedlungsmodell ist dafür allerdings denkbar ungeeignet.

Zwei Drittel aller Bewohner des südlichen Asiens leben am Küstensaum – zumeist Bauern, Fischer und Mittellose, unter Palmblättern oder Wellblech. Innerhalb von zwei Jahrzehnten werden es sogar 75 Prozent der Weltbevölkerung sein, die in Küstenmetropolen, Hafenstädten und Urlaubsorten wohnen. Alle scheint es an die See zu ziehen – die einen aus Lust, die anderen aus Zwang. Auf den Atollen des Pazifik wird Land durch stinkende Müllballen gewonnen, und in Manila Bay bauen die Ärmsten der Armen Stelzendörfer hinaus aufs Wasser, um dort billiger hausen zu können. Sie wurden zuerst fortgespült.

Und natürlich gibt es da noch die Ferntouristen, die in immer spektakuläreren Resorts über den Wellen thronen, möglichst direkt am Strand. Nun sind einige von ihnen Opfer der Flut geworden. Auch wenn die allermeisten Einheimische waren, so garantiert dieser Umstand in unseren Medien doch größere Aufmerksamkeit. Das globale Dorf mit Meeresblick ist ins Blickfeld geraten. Nur, das Meer blickt zurück, und das nicht gerade gütig.

THOMAS WORM