Von Nubiern geliebt

Schriften zu Zeitschriften: Den besten Draufblick hat man aus der Ferne. Das verspricht die zweite Ausgabe von Christian Krachts und Eckart Nickels Magazin „Der Freund“ mit schönen Lesestücken

VON GERRIT BARTELS

Peter Kern kann ohne Ägypten nicht leben. Jedes Jahr fährt der Burgschauspieler und Filmregisseur nach Luxor, quartiert sich in die Fürstensuite des Old Winterpalace Hotel ein und „riecht“ hier Landschaft und Menschen. Besonders Letztere, denn Kern ist begeistert von den vielen schönen Knaben, die „Take me, Sir! Take me, Sir!“ rufen und mit ihm, gegen Geld, versteht sich, Liebe machen wollen: „Und das waren wohl meine schönsten Liebesabenteuer überhaupt, versteckt in den Bergen von einem Nubier geliebt und begehrt zu werden. So ein dicker Fettsack wie ich.“

All das und noch viel mehr erzählt Kern, angeblich grippekrank im Bett eines Zimmers des Berliner Hotels Intercontinental liegend, dem Schriftsteller Ingo Niermann in einem Interview für die neue Ausgabe von Der Freund. All das ist allerdings nichts gegen den medialen Budenzauber, den das vom Axel Springer Verlag finanzierte Magazin bei seinem Erscheinen auslöste. Schließlich wird es von Christian Kracht herausgegeben und redaktionell geleitet von dessen Freund Eckhart Nickel: Beide Popliteraten stehen immer unter dem Verdacht, zumindest gute Entertainer zu sein, egal was sie treiben und trotz aller mitunter freudig bis triumphierend angehobenen Grabgesänge auf die Popliteratur. Auch der Axel Springer Verlag ließ sich seinerzeit nicht lumpen und lud zur Premiere ins Allerheiligste des Konzerns, in den Journalisten-Club im obersten Stockwerk des Kreuzberger Springer-Hochhauses. Allein die Einladungskarte und der darauf stehende Satz: „Gentlemen are requested to wear neckies“ löste alte Reflexe aus: Schnösel, die! Pop-Dandy-Säue!, und führte dazu, das sich Kollegen besorgt fragten, ob es wohl auch ohne Krawatte und Anzug gehe. Es ging.

Kracht und Nickel gaben dann ihr Bestes, erzählten Geschichten aus Katmandu, wo das Heft seine Redaktionsadresse hat, warum auch immer (aber warum auch nicht?), und zitierten einen Text des nordkoreanischen Diktators Kim Jong II, um möglicherweise das Springer-Hochhaus ideologisch einmal ordentlich ins Wanken zu bringen. Das gelang natürlich nicht, registriert und als dümmliche Provokation entlarvt wurde es trotzdem aufmerksam. Der Tagesspiegel etwa analysierte einmal mehr den Versuch „einiger nicht mehr ganz junger, wohlhabender und ratloser Männer, mit hochgezogenen Augenbrauen und abgespreizten Fingern von ganz oben auf die Welt herabzublicken“; im Grunde hatten Kracht und Nickel jedoch vor allem ihrer Passion nachgegeben, alles in einen Zusammenhang zu schmeißen, bis kein wirklicher Zusammenhang mehr erkennbar ist. Dass die Rezeption des Heftes selbst unter dem Eindruck des Premierenabends etwas litt, versteht sich von selbst.

Noch schwerer hat es nun die zweite Der Freund-Ausgabe, sie unterliegt gewissermaßen den Mühen der Ebene. Einfach so, ganz ohne Theater, liegt sie am Kiosk zwischen all den anderen alten und neuen Kunterbunt- oder Special-Interest-Magazinen, gerade mal flankiert von hauseigenen Anzeigen und dem dazugehörigen redaktionellen Und-dann-gibt-es-da-noch-Begleitartikel in der Welt. Doch allein das eingangs erwähnte, über zwanzig Seiten gehende und wirklich große Interview mit Peter Kern lohnt. Offen und anekdotenreich gibt Kern Auskunft: etwa über seinen Werdegang als Schauspieler, seinen Hass auf den Chef-Theaterkritiker der FAZ, sein Dicksein oder seine Vorliebe für ein Düsseldorfer Schwulen- und Stricherlokal.

Schwer an Gewicht und manchmal auch an Geist überstrahlt Peter Kern alles andere in Der Freund, ohne dass der Rest steil dazu abfallen würde: die hübsche Erzählung von Uwe Timm, der im Übrigen jedweder Pop-Umtriebe unverdächtig ist, eine bislang unveröffentlichte Erzählung des jungen Truman Capote, Jonathan Fischers Text darüber, wie der Ska in die Welt kam, oder die Wiederentdeckung des „zum seufzenden Beiseitelegen der Gegenwartsliteratur“ einladenden Romans „Nämlich“ von Paul Adler, die der Literaturwissenschaftler Moritz Bassler vornimmt.

Viel drin also, und abgesehen von einer nachvollziehbaren Tibet-Nepal-Lastigkeit und einer weniger nachvollziehbaren Fixierung aufs Essen, ist die einzige Programmatik von Der Freund seine Unberechenbarkeit. Diese wiederum zeitigt auch so manchen Text aus der Kategorie fortlaufenden Schwachsinns, zum Beispiel den redundanten pseudowissenschaftlichen „Brotaufstrich“ von Rafael Horzons, das fiktive Gespräch zweier Restaurantkritiker oder Nickels mehr als launiges Barschel-Gedicht. Auch Albernheiten, das Heft Christopher Reeve zu widmen oder im Innersleeve einen Flyer der Buddha-Bar abzudrucken, „Cave-o-Lution“ mit „German DJs“, wahrscheinlich Kracht und Freunde, sollen wohl irritieren, erhöhen aber nur den Nonsens-Quotienten. Den manierlichen Gesamteindruck machen die vielen Schönheitsfehler trotzdem nicht zunichte, zumal das Heft schön aussieht, schön zum Blättern ist, viele lustige Strichzeichnungen enthält und darüber hinaus ohne Anzeigen auskommt, Springer macht’s möglich.

So ist Der Freund ein unterhaltsames Magazin, in dem die Macken von Herausgeber und Chefredakteur am Ende der Lektüre nur den Hintergrund bilden für einige schöne Lesestücke. Von übertriebener Eitelkeit jedenfalls keine Spur. Selbstverständlich kann man sich fragen: Was soll das Ganze? Wer braucht das? Doch man könnte, so man unbedingt möchte, in Der Freund auch die Blaupause für zukünftige literarische Magazine sehen: Statt Bleiwüsten und stumpf hintereinander gedruckter Prosatexte oder Gedichte eine Mischung aus Erzählungen und Interviews, aus Reportagen, Gedichten und Kurzware. Letztere muss ja nicht immer gleich aus Tipps zum Big-Mac-Braten bestehen. So entwickeln sich Kracht und Nickel vielleicht sogar zu einer Art Thomas Gottschalk oder Jürgen Klinsmann im Bereich der literarischen Magazinkultur: Den besten Draufblick hat man aus der Ferne. Dass sie daran nicht so interessiert sind, beweist jedoch der knappe zeitliche Rahmen, dem Der Freund von vornherein gesteckt ist: Zwei Jahre soll es das Heft geben, bei einer vierteljährlichen Erscheinungsweise also noch sechs Ausgaben.