KIRSTEN FUCHS über KLEIDER
: Paralleluniversum mit Wäscheklammern

Die liebe Familie. Oder: Warum man nach Weihnachten Freunde noch mehr als sonst braucht

Familie unterscheidet sich ja nicht nur darin von Freunden, dass das Blut angeblich irgendwie dicker ist (biologisch nicht bewiesen!), sondern, dass vor allem alle Altersschichten vorhanden sind. Auch andere Gesellschaftsschichten. Und andere Schichten als die eigene Schicht erzählen andere Geschichten. Eigentlich ist das gut, weil man dann nicht wie eine Flugente im eigenen Saft schmort, sondern auch mal wieder über den Schmortopfrand kuckt, aber gerade zu Weihnachten wird es zu viel. Danach muss erst mal die eigene Realität geordnet werden. Werte, Humor, Ansichten. Scheiß auf dickes Blut, sonst gibt es böses Blut.

Ich flüchte nach Weihnachten in die Arme von Freunden, Verena und Babette. Wir erzählen, von welchem Stammbaum wir dieses Jahr wieder gefallen sind. Im Nachhinein ist das lustig. „Stell dir vor“, sagt Verena, „meine Oma hat mich gefragt, warum mein Freund ein ungebügeltes Hemd an hat. Mich! Mich hat sie das gefragt! Soll sie doch ihn fragen.“ Daraufhin Babette: „Und warum hatte er ein ungebügeltes Hemd an?“ Verena sagt, dass das doch egal sei, weil es sein Hemd ist und sie wolle nicht nach seinem Hemd gefragt werden. Ihre Oma hätte fragen können, warum sie, Verena herself, ein blaues Kleid anhabe, aber doch nicht, warum Jan ein ungebügeltes Hemd trägt. „Und warum hattest du ein blaues Kleid an?“, fragt Babette. „Weil man das nicht bügeln muss. Mein Bügeleisen ist kaputt. Seit drei Jahren!“ Ich frage: „Darum auch Jans ungebügeltes Hemd?“ Ich weiß, dass Verena gleich im Raum herumzischt, wie ein Luftballon, dem die Luft ausgeht. „Arrrgh!“ macht Verena. Babette und ich lachen. Endlich kann Verena ihre Wut rauslassen, die sie bei Oma zurückhalten musste.

Wir wissen, dass beide Schwestern von Verena verheiratet sind und dass sie ihre Männer bemuttern, behausfrauen und betutteln. Verena und Jan sind nicht verheiratet, sie wohnen nicht einmal zusammen, und Verena denkt gar nicht daran, Jan zu verziehen. Er ist selbstständig und das soll er auch bleiben. „Ich würde seine Hemden selbst dann nicht bügeln, wenn ich ein funktionierendes Bügeleisen besäße.“ Verena versucht wieder den ruhigen Ton, um sich dann aber doch beim Bericht über ihre Schwestern wieder hochzuschrauben: „Sie haben Jan von weitem beäugt und mir mitgeteilt, dass ich das falsche Waschmittel für schwarze Jeans benutze. Ist das zu fassen?“ „Abstrus!“, sagt Babette. „Was benutzt du denn für Waschmittel?“, frage ich. Erneut saust zischend der Verenaluftballon durch den Raum. „MEINS benutze ich. MEINS! Und Jan benutzt SEINS!“ „Prost!“ Babette schenkt die Reste Glühwein nach. Kann man auch kalt trinken.

Den Oberknaller erzählt Verena zum Schluss. „Und dann, als ich gesagt habe, dass mein Bügeleisen kaputt ist, fragt mich meine ältere Schwester, wie ich denn dann nach dem Wäscheabnehmen die Abdrücke von den Wäscheklammern aus Jans Unterhemden bekomme. Das müsse man doch bühühügeln.“ „Die was?“, fragt Babette entsetzt. „Die Abdrücke der Wäscheklammern in Jans Unterhemden“, wiederhole ich. Huh, Geisterbahn. „Da musste ich dann gestehen“, fährt Verena fort, „dass ich nicht nur kein Bügeleisen habe, sondern auch keine Wäscheklammern. Dass ich nicht nur nicht Jans Wäsche aufhänge, sondern dass Jan nicht mal Unterhemden hat.“ „Da wissen wir ja, was wir dir nächstes Jahr zu Weihnachten schenken“, sagt Babette. „Ich hoffe wieder zwei Tetrapacks Glühwein und ein Buch!“, prostet uns Verena zu. „Prost!“, erhebe auch ich mein Glas. „Und wie haben deine Schwestern reagiert?“ Verena findet, sie hatten sich ganz gut im Griff. „Und wahrscheinlich“, mutmaßt sie, „sitzen meine lieben Schwestern auch mit ihren lieben Freundinnen zusammen, und sie berichten in diesem Moment ganz bestimmt ebenfalls vom Wäscheklammer-Bügeleisen-Gespräch. Und die Freundinnen stimmen meinen Schwestern zu, dass sie Recht haben und dass ich im Unrecht bin. Wenn es wirklich gute Freundinnen sind, tun sie das. Hab ich Recht?“ Babette und ich sagen im Chor: „Jaha“.

Fragen zum Bügeln? kolumne@taz.de MORGEN: Philipp Maußhardt über KLATSCH