Wenn im Büro die Köpfe qualmen

Glasbauten, wie sie zunehmend das Gesicht Hamburgs bestimmen, bieten Architekten spektakuläre Gestaltungsmöglichkeiten, ökologisch sind viele von ihnen jedoch eine Katastrophe. Im Sommer heizen die Büros sich so stark auf, dass sie mit viel Aufwand gekühlt werden müssen

Im Sommer 2003 hat der Ingenieur 56 Grad gemessen „über die niemand berichtet“

von Gernot Knödler

Ein Kritiker hat sie mit den luxuriösen Gartenfesten Ludwigs des XIV. verglichen: die Glashäuser, die seit etwa zehn Jahren den Bürobau dominieren und in Hamburg im zu Ende gehenden Jahr vor allem unter ästhetischen Gesichtspunkten diskutiert worden sind: Wie viele Glasfassaden verträgt Hamburg, ohne sein Gesicht zu verlieren? Wie viele der Glitzerkästen ertragen seine Bewohner? Hier werde sinnlose Verschwendung zu repräsentativen Zwecken betrieben, lautet dagegen der Vorwurf, den der Ingenieur Werner Eicke-Hennig vom Institut für Wohnen und Umwelt (IWU) in Darmstadt durch die Untersuchung von 24 modernen Glasfassaden-Gebäuden untermauert hat. Deren Energieverbrauch sei horrend und liege auf dem Niveau schlechter Altbauten. Hamburgs Star-Architekt Hadi Teherani leugnet zwar nicht die Probleme, behauptet aber,sie mit ausgeklügelten Gebäudekonzepten lösen zu können.

Den hier als Problem auftretenden Effekt machen sich die Gemüsebauern in den Vier- und Marschlanden schon seit vielen Jahren zunutze: Die Sonne heizt Glashäuser auf, sodass es in ihnen bereits im Frühjahr mollig warm ist. Für die gläsernen Bürobauten ist das fatal. Sie sind überhaupt erst möglich geworden, seitdem es Gläser gibt, die ein Mindestmaß an Wärmedämmung gewährleisten. Das heißt aber auch im Sommer: Die Wärme bleibt drin. Dazu kommt die Hitze menschlicher Leiber, von Computern, Kopierern und Lampen. Ohne Kühlung heizen sich solche Innenräume bei Außentemperaturen von 30 Grad auf wüstenhafte 46 Grad auf. Im heißen Sommer 2003 hat Eicke-Hennig bis zu 56 Grad gemessen, „über die niemand berichtet“.

Der konventionelle Weg, dem entgegenzuarbeiten, wäre eine Strom fressende Klimaanlage. Ein modernes Gebäude wie das Commerzbank-Hochhaus in Frankfurt/Main verbraucht 13 Prozent seiner Energie für die Heizung und 45 Prozent für die Kühlung. Den Rest verschlingen Aufzüge, Pumpen, Computer und Beleuchtung. Letztere brennt in vielen Glasbauten den ganzen Tag, weil sich die Büromenschen mit Blenden vor der sengenden Sonne schützen oder die Architekten das Glas getönt haben.

Eicke-Hennig ärgert sich besonders, dass manche Architekten versprachen, doppelschalige Glasfassaden machten eine Kühlung überflüssig. „Man ging davon aus, diese Häuser brauchten keine Haustechnik“, sagt der Ingenieur. Damit die Beschäftigten in den Büros auch mal ein Fenster öffnen können und auf die in Deutschland unbeliebten Klimaanlagen verzichtet werden kann, wird vor die Fassade in einigen Dutzend Zentimetern Abstand eine zweite Glashaut gebaut. Weiterer Vorteil: Der Lärm bleibt auch bei geöffnetem Fenster draußen.

Dafür kann es in dem Spalt zwischen den Fassaden scheußlich heiß werden. „Wir wissen heute aus einem Messprojekt: Es ist verheerend“, sagt Eicke-Hennig. Wer ein Fenster öffnet, kriegt zwar Sauerstoff, aber mit bis zu 80 Grad in der Temperatur einer Bio-Sauna. „Die Probleme kann sich jeder denken“, räumt der Architekt Teherani ein. Selbst ein wohlmeinend in den Zwischenraum eingebauter Sonnenschutz kann zum Problem werden, weil sich dessen Lamellen erwärmen und zu Heizkörpern mutieren. „Nach allen Indizien über die Belüftung der doppelschaligen Glasfassaden muss vermutet werden, dass diese die Kühllasten erhöhen“, schreibt Eicke-Hennig.

Teherani baut Doppelglasfassaden nur „wo es nicht anders geht“, etwa beim letzten der U-förmigen Bürohäuser in Neumühlen, wo die Innenräume gegen den Lärm des Containerhafens abgeschirmt werden mussten. Entscheidend sei die Technik, mit der solche Fassaden gebaut würden. Die Haustechnik und der Fassadenbau seien dabei nicht mehr voneinander zu trennen. Teherani: „Die Fehler passieren, wenn die Haustechniker und die Fassadenarchitekten nicht richtig zusammenarbeiten.“

So müsse zum Beispiel gewährleistet sein, dass die Betonwände und -decken im Gebäude nachts gut abkühlen können, um tags das Klima mäßigen zu können. Das Büro Bothe-Richter-Teherani baut in solchen Fällen keine abgehängten Decken mehr ein, sondern verputzte Decken, damit die Nachtluft direkt am Beton entlang strömen kann. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Luft in Kühlschlangen durchs Erdreich zu schicken, bevor sie in die Fassade fließt.

Ob mit Vorkühlung oder ohne – die Lüftung ist auf alle Fälle ein heikles Kapitel. „Wir versuchen seit Jahren herauszufinden, wie das funktionieren könnte“, sagt Peter Braun, Professor für Bauingenieurwesen an der HAW. Eine Nutzerzufriedenheit von 50 Prozent sei bei Doppelglasfassaden schon sehr gut. Bei Klimaanlagen seien es 95 Prozent. „Probleme gibt es dann, wenn man die Systeme nicht ordentlich beherrscht“, sagt Teherani. Er schätzt, dass das in bei 60 bis 80 Prozent der Projekte der Fall ist. Teherani: „Die bauen einfach nur ‘ne Fassade davor.“ Im Gegensatz zu Teherani bezweifelt Eicke-Hennig allerdings, dass der Luftstrom in so einer Fassade überhaupt sicher zu berechnen ist: „Luftströme sind schwer simulierbar.“

Der Ingenieur findet, dass sich die Menschheit mit der Glasarchitektur ein unnötiges Problem geschaffen hat. Wie das Tönen der Scheiben führten viele scheinbare Lösungen zu neuen Schwierigkeiten. Abgesehen davon sei es von einem philosophischen Standpunkt aus fragwürdig, zunächst mit einem transparenten Material zu bauen, dann mit viel Aufwand die Folgen dieser Transparenz einzudämmen und am Ende die Arbeitsplätze künstlich zu beleuchten.

Der Primärenergieverbrauch der von Eicke-Hennig untersuchten Bürobauten lag zwischen 300 und 700 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr, wobei eine Kilowattstunde etwa einem Liter Heizöl entspricht. Büro-Hochhäuser mit herkömmlicher Lochfassade dagegen verbrauchten nur 100 bis 150 Kilowattstunden. Sind sie weniger als acht Stockwerke hoch, reichen sogar 70 bis 90 Kilowattstunden. Auf höher gelegene Stockwerke drückt der Wind so stark, dass die Belüftung kompliziert wird, weil die Fenster nicht mehr gefahrlos geöffnet werden können. „Das kann dazu führen, dass sie nicht mehr aus dem Büro kommen, weil Sie die Tür nicht aufkriegen“, sagt Braun.

Aus Sicht Teheranis kommt ein Verzicht auf die Glashäuser nicht in Frage: Sie würden von Bauherren verlangt und zwar nicht in erster Linie, weil diese Eindruck schinden wollten, sondern weil solche Häuser besonders flexibel genutzt werden könnten: Im Gegensatz zu konventionellen Bauten, müssen sich die Nutzer bei der Einteilung der Büroräume nicht an den Fensteröffnungen orientieren. Teherani: „Der Markt drängt nach flexiblen Fassaden.“

Die Schwierigkeiten versucht er mit einem neuen Gebäude-Konzept zu lösen, das er beim Doppel-X-Haus am Heidenkampsweg und dem spitzwinkligen Deichtor-Center realisiert hat. Hier stehen Büroflügel mit großen Höfen in einer Umhüllung aus Glas. Durch die Wintergärten stünden große Betonmassen und überdies Wasserbecken bereit, die nächtens gekühlt werden könnten. Überdies seien beim Doppel-X-Haus die nördlich und südlich gelegenen Höfe miteinander verbunden, so dass sich kühle und warme Luft austauschen könne. Im Inneren sei es drei bis sechs Grad kühler als draußen – und die Vegetation gedeihe wirklich prächtig. Teherani: „Uns ist noch keine Pflanze eingegangen.“

Zweifeln an der Wirtschaftlichkeit dieser Gebäude tritt er mit einem Hinweis auf die Nebenkosten entgegen. Beim Doppel-X-Haus liege die Nettokaltmiete bei zwölf Euro, an Nebenkosten seien 2,50 Euro zu zahlen. Kühlungskosten seien darin nicht enthalten: Es fallen keine an. Nebenkosten von zwei bis 2,50 Euro schlagen nach Auskunft der Maklerfirma Engel&Völkers bei einem konventionellen Gebäude zu Buche. Gläsgebäude lägen in der Regel bei drei bis 3,50 Euro. Die Ingenieure klagen allerdings, es sei sehr schwer an Daten über den tatsächlichen Energieverbrauch von Glashäusern heranzukommen.