Das Jahr des gerechten Handels

Soziale Globalisierung – geht das? Entwicklungsorganisationen kritisieren, dass die Politik der Welthandelsorganisation WTO die Schere zwischen Arm und Reich öffnet. UNO-Generalsekretär Annan fordert einen Durchbruch in der Armutsbekämpfung

VON STEPHAN KOSCH

Eigentlich sollte ja vor dem zehnten Geburtstag alles geregelt sein. Der Terminplan sah vor, dass zum 1. Januar 2005 die vor gut drei Jahren in Doha (Katar) gestarteten Verhandlungen innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) abgeschlossen sind. Doch daraus wurde nichts. Hinter den Türen des WTO-Gebäudes am Genfer See wird noch immer eifrig um Zölle und Subventionen gefeilscht. Und im Jubiläumsjahr ist der Druck besonders groß.

Denn im Dezember fliegen die Minister der 148 Mitgliedstaaten im Dezember zum WTO-Gipfel in Hongkong. Sollten sie erneut, wie vor gut einem Jahr im mexikanischen Cancún, faktisch wieder ohne Ergebnis abreisen müssen, droht der WTO eine Identitätskrise. 21 Entwicklungs- und Schwellenländer forderten damals unter anderem ein Ende der Subventionen der US-Regierung für ihre Baumwollfarmer. Diese machen unter anderem den Produzenten in Afrika das Leben schwer. Der Nord-Süd-Konflikt trat offen zu Tage. Die Gespräche sind zwar wieder in Gang gekommen, nachdem sich auch die EU und die USA bereit erklärt haben, ihre Subventionen abzubauen. Konkrete Festlegungen fehlen aber bislang und sollen bis Juli verhandelt sein.

Zudem haben die Vereinten Nationen für dieses Jahr eine intensive Zwischenbilanz bei der Umsetzung ihrer „Jahrtausendziele“ aus dem Jahr 2000 angekündigt. Um die Wildwest-Globalisierung der 1990er-Jahre sozialer zu gestalten, nahm sich die UNO beispielsweise vor, den Anteil der Armen und Hungernden an der Weltbevölkerung zu halbieren. Die Fünfjahresbilanz des Projekts hat UN-Generalsekretär Kofi Annan selbst als „die letzte realistische Möglichkeit“ zur Erreichung der Ziele bezeichnet. Doch dazu sei ein „bedeutender Durchbruch“ in der Entwicklungspolitik nötig – für Experten die diplomatisch verpackte Vorbereitung auf ein Scheitern des hehren Projekts.

Und daran ist auch die WTO schuld, meinen zumindest ihre Kritiker. „Die Liberalisierungsmaschine WTO hat erheblich dazu beigetragen, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer größer geworden ist“, sagt Pia Eberhardt von der globalisierungskritischen Bewegung Attac. Und Christina Deckwirth, Handelsexpertin der Organisation Weed (Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung) wirft der WTO vor, ihren Geburtstag „auf dem Rücken der Armen zu feiern“. Dabei geht es den Kritikern nicht nur um konkrete Entscheidungen der vergangenen zehn Jahre. „Die grundsätzlich Ausrichtung ist falsch“, sagte Eberhardt der taz. „Die WTO setzt auf Liberalisierung um jeden Preis, das hat mit Armutsbekämpfung wenig zu tun.“ So habe in der Vergangenheit ein weniger geregelter Agrarmarkt in den Ländern des Südens häufig zu einer Erhöhung der Importe geführt. Den oft billigeren, weil subventionierten Lebensmitteln aus USA oder der EU habe dann die heimischen Kleinbauern unter Druck gesetzt. Als Beispiel verweist Eberhardt auf die Philippinen, wo sich zwischen 1993 und 2000 die Importquote bei Getreide verdoppelte und gleichzeitig die Anbaufläche im Land um ein Fünftel schrumpfte.

Der zweite Ansatzpunkt für immer wieder geübte Kritik an der WTO zielt auf ihre Entscheidungsstrukturen. Zwar ist das Gremium grundsätzlich auf Konsens angelegt, und anders als etwa beim Internationalen Währungsfonds gibt es auch keine Quoten, die den reicheren Ländern ein höheres Stimmrecht einräumen als den ärmeren. Dennoch verweisen Kenner drauf, dass die Entscheidungen in der Regel zunächst im kleinen Kreis, vornehmlich von den EU und USA, vorbereitet werden.

Ein Widerstand gegen die meist im so genannten „Green Room“, einem Konferenzraum im Genfer WTO-Gebäude, vereinbarten Lösungen kann den kleineren Ländern teuer zu stehen kommen. Delegationen haben immer wieder davon berichtet, dass eine Zustimmung zum Beispiel mit dem Hinweis auf eine mögliche Kürzung der Entwicklungshilfe erwirkt werde.

Die mangelnde Transparenz der Prozesse ist aber auch der zumindest in Europa schwachen Kopplung der WTO-Verhandlungen mit den jeweiligen Parlamenten geschuldet. Das ist in den USA anders, dort ist die WTO im Kongress ein engagiert diskutiertes Thema. Auf dieser Seite des Atlantiks verweist man hingegen zunächst gern auf die Europäische Union. Der Weg zu den Verhandlungen nach Genf führe in der Regel über Brüssel und den EU-Handelskommissar Pascal Lamy, heißt es. Doch auch der muss sich gegenüber dem EU-Parlament verantworten. Und letztendlich bleiben die einzelnen Länder Mitglied der WTO und können selbst entscheiden, wie aktiv sie ihre Rolle ausüben.