EU-VERFASSUNG: INNENPOLITIK ÜBERLAGERT VOLKSABSTIMMUNGEN
: Die Wackelkandidaten kommen später

Jacques Chirac hat ein Gespür für Stimmungen. Er erzählt den Leuten, was sie hören wollen, und er findet auch den richtigen Zeitpunkt dafür. Eine Volksabstimmung zur EU-Verfassung hatte er zunächst rundweg abgelehnt, dann auf Druck seiner innenpolitischen Gegner für die zweite Jahreshälfte 2005 eingeplant. Wenn er nun seinen Wählern mitteilt, sie würden schon im ersten Halbjahr aufgerufen, über ihr eigenes Schicksal zu entscheiden, kann es dafür nur eine Erklärung geben: Der französische Staatspräsident fürchtet eine zunehmende Europa-Verdrossenheit seiner Landsleute.

Die könnte zum einen daraus entstehen, dass das Thema innenpolitisch verheizt worden ist. Sozialistische Oppositionelle hatten auf Ablehnung der Verfassung mit dem Argument gedrängt, sie sei zu wenig an sozialen Werten orientiert. Außerdem machen all diejenigen Stimmung gegen Europa, die den Türkei-Beitritt ablehnen – und das sind in Frankreich nicht wenige. Als dritter Stimmungskiller kommen die bald beginnenden EU-Finanzverhandlungen für die Periode 2007 bis 2013 hinzu. Sie werden zu einer Umverteilung in die ärmeren neuen Mitgliedsländer führen. Da sind Enttäuschungen in der Alt-EU schon abzusehen.

Das gilt in noch größerem Umfang für Spanien, das bislang am meisten von den Brüsseler Strukturfördertöpfen profitiert hat. Vielleicht hat die Regierung in Madrid deshalb beschlossen, die Sache rasch hinter sich zu bringen, bevor in den Finanzverhandlungen Zahlen auf dem Tisch liegen.

Am 20. Februar stimmen die Spanier über die neue EU-Verfassung ab. Ein positives Ergebnis hätte ganz sicher Einfluss auf die Stimmung im Nachbarland Frankreich, wo man dann wohl auch nicht abseits stehen will. Doch die eigentlichen Wackelkandidaten folgen später. Dänemark hat noch keinen Termin festgelegt, und Großbritannien will die Wähler erst 2006 an die Urnen rufen.

Chef-Außenpolitiker Javier Solana sagte gestern der BBC, ein Nein würde einen Graben zwischen Briten und Kontinental-Europäern aufreißen. Wie es dann mit Europa weitergehen soll, sagte er allerdings nicht. DANIELA WEINGÄRTNER