E-Piano und Ekstase

Wie das Leben Kunst kreiert: Taylor Hackfords Film „Ray“ erschließt die Vita von Ray Charles. Zwischen Gospel, Pop, Heroin und afroamerikanischem Selbstbewusstsein war er eine der größten Kreativkräfte der amerikanischen Musikgeschichte. In der Hauptrolle glänzt der Schauspieler Jamie Foxx

VON CHRISTIAN BROECKING

Schon der Trailer brach das Format: Im Dokumentarstil wurde da für eines der ungewöhnlichsten Biopics geworben, das es je über einen Jazzmusiker gab.

Vor 15 Jahren traf der Regisseur Taylor Hackford Ray Charles zum ersten Mal, um mit ihm über das Projekt, seine Lebensgeschichte zu verfilmen, zu sprechen. Hackford berichtet, dass Charles zunächst sehr einsilbig reagiert habe. Als der Musiker bloß sagte, dass er immer hart gearbeitet habe und dass es vielen Schwarzen wesentlich schlechter ergangen sei als ihm, sah Hackford seine Story schon dahin schwinden. Zum Glück gab es noch diesen Nebensatz über das, was seine Mutter ihm geraten habe: dass er sich niemals in eine Situation bringen solle, wo er auf andere angewiesen ist. Keine Hilfsmittel, weder Stock noch Blindenhund – das war, was seine Mutter ihn lehrte. Damit beginnt dieser ausgezeichnet recherchierte Film über eine der größten Kreativkräfte der amerikanischen Musikgeschichte.

Noch vor Frank Sinatra sicherte sich Ray Charles – ein blinder Schwarzer – einen Plattenvertrag, der ihm die Rechte an den Masterbändern garantierte.

Ganz traditionell beginnt der Film chronologisch mit der Kindheit. Die Mutter ist Wäscherin, die Gegend so arm, dass es dort keinen mehr gibt, auf den man herabschauen könnte. Als er sieben ist, erblindet Ray, kurz nachdem sein kleiner Bruder vor seinen Augen tödlich verunglückt ist. Hieraus wird der Stoff für die Schuldfrage, hier startet Hollywood durch, die toughe Mutter, der Drogenwahn, bis schließlich nach zweieinhalb Stunden der Therapeut ein Stück Happyend signalisiert. Gespielt von einem himmlisch gut gecasteten Team, mit Sharon Warren als Mutter – Charles war 14, als sie erst 31-jährig starb –, mit Regina King als Marjorie Hendricks, der Geliebten und Backgroundsängerin, und Jamie Foxx in der Rolle des Protagonisten.

Zunächst wollte keiner in die Lebensgeschichte dieses schwarzen Amerikaners investieren; jetzt, gut zwei Monate nach dem US-Kinostart, sollen die Produktionskosten schon eingespielt sein, berichtet der Regisseur. Mit „Ray“ ist ihm ein Musical gelungen, in dem man sehen kann, wie das Leben Kunst und große Songs kreiert. Kurz vor Fertigstellung des Films starb Charles im Alter von 73 Jahren. Angesichts des nahenden Todes drängte der in die Produktion involvierte Künstler das Team zur Eile. Er wollte die wichtigen Dinge erledigt wissen, sogar einzelne Songs für den Film noch einmal neu aufnehmen. Doch Hackford bevorzugte die besten Liveaufnahmen, die es von Charles’ Songs gibt. Charles holte diese aus seinem Archiv und erzählte dann die jeweilige Geschichte dazu.

Als Ray Charles begann, Musik zu machen, imitierte er noch Nat King Cole. Mit Hits wie „I Got a Woman“ wurde er später ein Topten-Rhythm-&-Blues-Star, „Soul Power“ war in jenen Jahren das Synonym für ein neues Selbstbewusstsein, den Glauben an die eigene Kraft, an Veränderung und Fortschritt. Mit „What’d I Say“ schaffte Charles 1959 sogar den Crossover von dem „race music“ genannten R&B zum Pophit. Mit seinem gospelgeprägten Gesang und den meisterhaften Bläserarrangements war Ray Charles zum Architekten der Soul-Musik geworden, zunächst gegen den erbitterten Widerstand schwarzer Kirchenleute und Bluesmusiker, die ihm Blasphemie vorwarfen, weil er die Musik der Kirche in den Nachtclubs spielte. Doch Ray Charles komponierte den Sound des E-Pianos und die Ekstase der schwarzen Kirche zu einem neuen Genre der populären amerikanischen Musik.

Dass es Jamie Foxx, der selbst ein versierter Pianist und Sänger ist, so grandios gelingt, Ray zu imitieren, gehört zu den Stärken des Films. Er mimt den Womanizer, den Drogenkranken und den selbstbewussten Afroamerikaner mit großer Überzeugungskraft. Nachdem Charles ein Konzert in Georgia abgesagt hatte, weil er nicht akzeptieren wollte, dass sein Publikum nach der Hautfarbe getrennt sitzen sollte, schwarz auf den schlechten, weiß auf den guten Plätzen, wird er aus dem Bundesstaat verbannt. Erst Ende der Siebzigerjahre wird der Bann aufgehoben und der Ray-Charles-Song „Georgia on my mind“ zur offiziellen Hymne des Bundesstaates erklärt.

Ein sensibles Thema bleibt der auffällige Zusammenhang zwischen Heroinkonsum und kreativer Leistung. Der Stoff habe ihm ein gutes Gefühl gegeben, soll Charles noch Jahre nach dem Entzug gesagt haben. Doch tausende, die genauso werden wollten wie Ray, seien an Heroin zugrunde gegangen, sagt Foxx. Ray sei halt ein Genie gewesen – „a different animal“. Davon handelt dieser Film.

„Ray“. Regie: Taylor Hackford. Mit Jamie Foxx, Kerry Washington u. a. USA 2004, 152 Min.