Ein Wachsfigurenkabinett in Bewegung

Die Dolche folgen umso seltsameren Bahnen, je mehr Umwege die Liebe nimmt: Der chinesische Regisseur Zhang Yimou hat mit „House of Flying Daggers“ ein neues Kampfkunstspektakel gedreht – mit großem Staraufgebot und so erlesen schönen Bildern, dass sie sich in sich selbst erschöpfen

VON BERT REBHANDL

Ein blindes Mädchen ist die neue Attraktion des Pfingstrosen-Pavillons, eines Freudenhauses im mittelalterlichen China. Mei sieht unschuldig aus, aber sie ist ganz und gar nicht devot. Der Ordnungshüter, der sich in ihren Armen von der schweren Arbeit erholen will, sieht sich unvermutet zu einem Schleiertanz herausgefordert, der in offene Aggression umschlägt. Mei (Zhang Ziyi) ist eine Rebellin. Sie gehört dem umstürzlerischen Geheimbund an, nach dem Zhang Yimous neues Schwertkampfabenteuer benannt ist: „House of Flying Daggers“. Das Jahr nach westlicher Zeitrechnung ist 859. In China regiert die Tang-Dynastie, gegen die sich Widerstand aus der Zivilgesellschaft regt. Die Polizisten Leo (Andy Lau) und Jin (Takeshi Kaneshiro) dienen dem alten Regime, jedenfalls so lange, wie die „internal affairs“ in diesem Film nicht aufgeklärt sind. Berufliche und private Loyalitäten sind nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen, vor allem, wenn man in geheimer Mission arbeitet.

„House of Flying Daggers“ ist ein Road Movie in einer Zeit, als es noch kaum Straßen gab, also ein Querfeldein-Movie. Mei flieht mit Jin, der sich zum Schein auf ihre Seite schlägt, aus dem Gefängnis, und macht sich auf den Weg zu ihren Vorgesetzten. Jin handelt im Auftrag von Leo, der ihnen heimlich folgt, weil er auf diese Weise an die Führungsspitze der „Dolche“ heranzukommen hofft. Mei und Jin müssen ständig Gefechte bestehen. Mei muss jedoch auch einmal ein Bad nehmen. Dann spürt sie auf der nackten Haut, wie Jin sie heimlich anstarrt. Die Erotik in „House of Flying Daggers“ ist weitgehend sublimiert, weil der Kampf die Form der Intimität ist.

Wie bereits in „Hero“ agieren die Helden auf ihrer Mission ihre private Geschichte aus. Deutlich versucht Zhang Yimou, an den großen internationalen Erfolg dieses Films anzuschließen, der wiederum als die nationalchinesische Antwort auf Ang Lees „Tiger and Dragon“ gelten kann. Die Politik, die in „Hero“ im Zentrum stand (in der Frage nach der Weisheit des unbewegten Gewaltherrschers), spielt in „House of Flying Daggers“ keine Rolle mehr. Stattdessen dreht sich alles um die emotionalen Konflikte der drei Protagonisten. Sie sind jeweils unterschiedlich miteinander verstrickt. Die Dolche fliegen so seltsame Kurven, weil auch die Liebe so komplizierte Umwege geht. Mei, Jin und Leo enthalten das ideale Paar. Sie suchen nur noch nach der richtigen Konstellation, nach einer Balance aus Leidenschaft und Disziplin. Zhang Yimou lässt die Leidenschaft siegen, aber um einen hohen Preis. Er verliert die Implikationen seiner Geschichte aus den Augen. Als Zhang Yimou in den Achtzigerjahren im Westen bekannt wurde, mit Melodramen wie „Judou“ oder „Das rote Kornfeld“, galt er als Oppositioneller. Er erzählte von der Vergangenheit, meinte aber die Unfreiheit im chinesischen Kommunismus. So verstanden ihn zumindest die Kritiker.

„House of the Flying Daggers“ („Shimian maifu“) ist nun ein reines Unterhaltungsprodukt, eine Leistungsschau. Es gibt keine zweite Ebene, keinen semantischen Mehrwert, keine allegorische Lesart, die über die maximal effiziente Rekonstruktion des klassischen chinesischen Genrekinos (wuxia) hinausgeht. Die Martial Arts sind perfekt, aber sie sind Übungen, keine Kämpfe. Sie sind abstrakt wie die Motive, die sich in der farbenprächtigen Ausstattung des Films überall finden. Im Bambuswald biegen sich die Bäume zwischen den flirrenden Waffen, im Schneeland gefrieren die Duellisten zu Eisheiligen ihrer Passion. Zhang Ziyi, Takeshi Kaneshiro und Andy Lau sind selbst für eine Prestigeproduktion dieser Größenordnung ein außergewöhnliches All-Star-Aufgebot. Es ist ihre Pflicht, so reglos wie möglich zu bleiben, wenn sie ihn Gefahr sind. Und so kämpfen sie auch – ein Wachsfigurenkabinett in Bewegung, das jedoch nirgends anstreifen darf, weil alles so erlesen schön ist. „House of Flying Daggers“ trägt nicht bei zu einer Überlieferung, wie es das große Vorbild „Touch of Zen“ von King Hu noch tat. Es besiegelt die Tradition mit einem Machtwort, vor dem alles erstarrt.