Der Krampf geht weiter

Seit Wochen werden ständig neue Intendanten für das Deutsche Theater in Berlin ins Spiel gebracht. Dabei ist das Haus mit seiner Linie bislang sehr erfolgreich gewesen. Etappen einer Kulturposse

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Eigentlich macht das Deutsche Theater in Berlin alles richtig: Es verbindet Anspruch mit dem Glamour großer Namen, und es hat damit Erfolg. Hoch gelobte Regisseure wie Michael Thalheimer, Armin Petras oder Jürgen Gosch bringen mit ihren Inszenierungen regelmäßig Stars wie Corinna Harfouch, Ulrich Matthes oder Nina Hoss ins Haus; für die Premiere von „Minna von Barnhelm“ ist Martina Gedeck als Gast angekündigt.

Für jedes Stadttheater, das sich in seiner Stadt konkurrenzlos weiß, wären die Spielpläne des Deutschen Theaters sicher ein Aushängeschild. In Berlin aber, wo die intellektuellen Trash-Spielereien der Volksbühne und die gesellschaftskritischen Inszenierungen der Schaubühne über die Stadt hinaus für gedankliche Unruhe sorgen, reicht ein solches bunt gemischtes Angebot allerdings nicht aus. Die Vielfalt sorgt zwar für stolze Besucherzahlen: 162.000 besuchten das Haus in der vergangenen Spielzeit, fast 20.000 sahen seine Gastspiele. Doch das Deutsche Theater hat auch einen Ruf zu verteidigen, schließlich wurde es schon 1831 gegründet. Der Zahl der Plätze (mit zwei Bühnen) und der Höhe der Subventionen (18,4 Millionen Euro) nach ist es das größte Theater Berlins. Die großen Debatten aber finden anderswo statt.

Deshalb schien der Plan des Berliner Kultursenators Thomas Flierl (PDS), nach einem neuen Intendanten für das Deutsche Theater zu suchen, der den bisherigen Leiter Bernd Wilms ablösen sollte, einsichtig. Mit seiner Nominierung von Christoph Hein im Oktober 2004 stellte Flierl jedoch das eigene Postulat eines Aufbruchs in Frage, weil man sich mit dem bejahrten Schriftsteller an der Spitze nur schwer ein zukunftsgewandtes Konzept vorstellen konnte. Hein ist inzwischen, von den Debatten um seine Person zermürbt, von seiner Nominierung zurückgetreten; eine neu einberufene Findungskommission für seine Nachfolge trifft sich erstmals Mitte Januar.

Bis dahin füllen Spekulationen die Meldungsspalten: Die Berliner Boulevardzeitung BZ, neuerdings auf dem Feld der Kulturpolitik ambitioniert, bringt ständig neue Namen wie Christoph Schlingensief oder Thomas Ostermeier ins Spiel. Das ungeschickte Verfahren des Kultursenators Flierl, noch mehr aber das Interesse der Opposition, aus jedem Fehler des Kultursenators Kapital zu schlagen, haben eine ganze Welle von Ost-West-Verschwörungstheorien rund um das Deutsche Theater losgetreten. Jede neue Personalie, die von den Hauptstadtmedien aus dem Hut gezaubert wird, dient nur noch als Munition, um den Kultursenator vorzuführen.

Der Noch-Intendant Bernd Wilms hat sich lange jeder Stellungnahme zu dem Kulturkampf enthalten, der über sein Haus hinwegbraust. In einem Interview mit dem Tagesspiegel am Freitag warf er Kultursenator Thomas Flierl jedoch „Gesprächsresistenz“ vor. Trotzig verkündete er: „Ich sehe kein Theater in Berlin, das gegenwärtig besser dasteht als das Deutsche.“ Eine Verlängerung seines Vertrages schloss er jedoch aus.

Rührende Briefe treffen derweil in der taz-Redaktion ein: „Wir Zuschauer lieben das Deutsche Theater doch. Warum kann Flierl nicht alles beim Alten belassen?“ Das kann der Kultursenator jetzt jedoch nicht mehr, auch wenn ihm selbst inzwischen die Visionen ausgegangen sind, wie denn die Zukunft des Deutschen Theaters aussehen könnte. Seine anfangs geäußerten Gedanken von einem Deutschen Nationaltheater, der Einheit des Ensembles, festen Regisseuren und einem klaren inhaltlichen Profil des Hauses mag er inzwischen nicht mehr aussprechen, da ihm daraus ein Strick gedreht wurde: Er wolle ein „Haus auf Linie“ bringen, lautete der Vorwurf. Alter parteipolitischer Jargon ist eben immer noch gut für Verdächtigungen.

Alles beim Alten belassen kann Flierl aber nicht nur nicht, weil er so seine Glaubwürdigkeit als Politiker riskieren würde. Es geht auch deshalb nicht, weil das Deutsche Theater ein zu kostbares Kapital der Hauptstadtkultur ist, als dass man es wie bisher einem bequemen Populismus überlassen könnte.