Modellbauer im Wüstenkrieg

Michael Rupf programmiert bewegliche Ziele für Truppenübungen. Zuletzt entwickelte der Ingenieur ein Schießtraining für die Armee in Kuwait

„Letztlich ist das eine ganz große elektrische Eisenbahn“„Im eigentlichen Sinne sind die Computer ja keine Waffen“

AUS DÜSSELDORF LUTZ DEBUS

50 Grad Lufttemperatur, die Wüste Kuwaits. Der Turm des Panzers dreht sich. In der Zielvorrichtung des Schützen taucht die Silhouette eines Kettenfahrzeuges auf, die rasch näher kommt. Der Schütze drückt ab. Ein Knall. Die Silhouette ist verschwunden. Auf dem Bildschirm eines Computers erscheinen die Daten des Treffers. Dort, wo die Granate traf, sind von dem Panzer nur Holzsplitter übrig geblieben. Ein niedriges, mit einem Elektromotor angetriebenes Schienenfahrzeug und alle Messgeräte bleiben unbeschädigt.

„Auf Wunsch benutzen wir inzwischen statt Holz auch Metallscheiben. Bei einem Treffer entstehen dann Lichtblitze. Das wirkt realistischer,“ sagt Michael Rupf. Der Elektroingenieur entwickelt Software für so genannte Zieltrainingssysteme, er arbeitet in einer mittelständischen Firma im Düsseldorfer Stadtteil Garath. Zuletzt war er für seinen Arbeitgeber in Kuwait. Für 25 Millionen Euro wurde dort ein Truppenübungsplatz eingerichtet. Die Computer, die von Rupf programmiert werden, steuern dort die beweglichen Ziele. Manche können per Mausklick sogar beheizt werden. Durch ein Nachtsichtgerät sehen sie dann lebensecht aus.

Lebensecht sind auch die Pappkameraden aus Düsseldorf, die beschossen werden müssen, wenn die kuwaitischen Soldaten den Häuserkampf in einer eigens errichteten Siedlung trainieren. Treffer werden auf einer Graphik angezeigt, die Daten berechnet der Computer mittels Mikrophonen: Ist der Treffer weiter links, vernimmt der linke Sensor den Schuss eher als der rechte. Durch die minimale Verzögerung kann dann der genaue Punkt des Einschusses ermittelt werden. Begeistert spricht Michael Rupf über seine Arbeit.

Und Kuwait? Wenn Rupf dort ist, und das ist er manchmal bis zu drei Wochen am Stück, arbeitet er ohne Pause, auch an den Wochenenden. Vom Land sieht er wenig. Er ist in einem Hotel untergebracht, und dort nur zum Schlafen. Mit Kollegen geht er mal essen. Es gebe ein paar gute arabische und indische Restaurants. Auch McDonalds.

Überhaupt sei vieles so wie in den USA, die Verkehrsschilder, die Architektur. Natürlich gebe es kein Schweinefleisch, keinen Alkohol. Wenn den ganzen Tag nichts geklappt habe, vermisst er den Alkohol. Aber an Schmuggel denkt er nicht. Er möchte keine Bekanntschaft mit den gefürchteten Glaubenswächtern machen. Zur Entspannung gebe es Wasserpfeife, „mit Tabak“, betont Rupf.

Kuwait ist für ihn wie ein Bundesstaat der Vereinigten Staaten, nur das dort fundamentalistische Moslems wohnen. „Ja, das ist paradox“, sagt der Ingenieur, aber das Land sei eben widersprüchlich: Einkaufscenter lassen erahnen, wie unendlich reich viele Menschen hier seien. Das Gold liege auf der Straße, oder besser gesagt, ein paar hundert Meter darunter. Arme Kuwaitis gebe es praktisch nicht. Im Monat verdienen die koreanischen oder pakistanischen Gastarbeiter, die in Kuwait leben, höchstens 100 Dollar, sagt Rupf. Dafür verpflichten sie sich für drei Jahre, dürfen vielleicht zwei Mal im Jahr zu Hause anrufen; „moderne Sklaverei“.

Natürlich hat Michael Rupf manchmal ein mulmiges Gefühl, wenn er von Düsseldorf nach Kuwait fliegt. Fernsehbilder von Anschlägen in Saudi-Arabien oder im Irak zeigen, wie gefährlich es in dieser Region werden kann. Aber um seine Sicherheit hat er sich in Israel mehr Gedanken gemacht: Eine halbe Stunde, nachdem er in Tel Aviv eine Straße befuhr, explodierte dort ein Linienbus. In Kuwait fühle er sich relativ sicher. „So viele Menschen sind auf der Straße. Da wird es mich schon nicht treffen.“

Zuvor war Michael Rupf in Großbritannien, in Belgien, in den Niederlanden und in der Türkei tätig. Weitere Anlagen sind in Tschechien, der Slowakei, der Schweiz und Österreich geplant. Das Geschäft laufe gut, die größten Aufträge kommen aus den USA.

Seit George W. Bush Präsident ist, spiele Geld beim Militär nur eine untergeordnete Rolle – das Beste sei gerade gut genug und wird bestellt. Gut für Michael Rupf. „Bei den fünf bis sechs Firmen weltweit, die diesen Randmarkt beliefern, nimmt unser Unternehmen aus Düsseldorf eine Spitzenstellung ein“. Gibt es auch Aufträge aus Deutschland? Polizei und Sportschützen kaufen Schießanlagen. Doch allein von Aufträgen der Bundeswehr könne die Firma nicht existieren.

Vor über hundert Jahren begann das Unternehmen gar nicht militärisch als Bauschlosserei. Dann spezialisierte sich der Familienbetrieb auf den Bau von Außenfassaden. Manches Gebäude auf der Düsseldorfer Königsallee sei mit Aluminium eingekleidet worden. Vor dem ersten Weltkrieg stellte man Fenster für Bunker her. Es folgten Seilzuganlagen. Erst 1930 wurden dann die ersten Zielgeräte gebaut. Diese Windwerkanlagen, eigentlich Museumsstücke, seien noch heute auf manchen Bundeswehrübungsplätzen im Einsatz. Weil der Fassadenbau der Firma in Konkurs ging, arbeiten die 15 Angestellten im Düsseldorfer Süden nun für eine Rüstungsfirma.

Gibt es ethische Bedenken? Michael Rupf beantwortet das wie ein Wirtschaftsfachmann. In Ländern wie Iran oder früher Irak, die unter einem Waffenembargo gestellt sind, werde ja nicht geliefert. Die Ausfuhr nach Israel ist zwar nicht verboten, die Erteilung dafür benötigter Genehmigungen dauere aber sehr lange. Und persönlich? Ist es für ihn moralisch verantwortbar, Militärgüter herzustellen? Die von ihm programmierten Computer seien ja „im eigentlichen Sinne“ keine Waffen“, sagt er. Natürlich könne eine Armee, die mit diesen Zieltrainingssystemen übe, sowohl für Verteidigungsfälle wie für Angriffszwecke eingesetzt werden. Wenn die Polizei damit trainiere, dann habe er gewiss „wenig Bauchschmerzen.“ Wenn Soldaten aus Israel oder aus den USA auf die computeranimierten Ziele schießen, sei das schon komplizierter. Nicht alles, was das Militär in diesen Ländern mache, könne man unterstützen.

Natürlich sei sein Job nicht sein Traumberuf. „Als ich Elektrotechnik studierte, dachte ich, ich könnte mich nützlicher machen“, setzt der 38-Jährige traurig hinzu. Früher dachte er daran, Regelsysteme für alternative Energiegewinnung zu entwerfen. Allerdings sei er nun schon seit zwölf Jahren bei der Firma. Sein Arbeitsplatz sei relativ sicher. Und die Technik fasziniere ihn. In so einem kleinen Betrieb sei man für viele Bereiche zuständig: Elektronik, Mechanik, Informatik. Seine Aufgaben seien vielseitig. Und nicht jeder habe die Möglichkeit, hautnah Gefechtssituationen miterleben zu können.

Panzer rasen schießend durch den Wüstensand, Soldaten werden von Hubschraubern abgesetzt. Spannend sei das, da zuschauen zu können, sagt Rupf und seine Augen leuchten. Nein, militaristisch sei er nicht. Den Wehrdienst habe er nach dem Studium eher abgesessen. „Ein verlorenes Jahr.“ Gibt es für Michael Rupf auch eine Grenze, ein Projekt, an dem er nicht mitarbeiten würde? Aktive Waffensysteme zu entwickeln sei nicht sein Ding, dies würde die Firma auch nicht bauen. Vehement weigern würde er sich, wenn er irgendwann einmal Bomben in Form von Kinderspielzeug entwickeln müsse. Diese Spielzeugbomben werden von vielen Krieg führenden Nationen eingesetzt. Sie werden von Flugzeugen abgeworfen und explodieren dann, wenn Menschen, natürlich vornehmlich Kinder, sie aufheben wollen. „Auch diese Waffen wird irgendein Ingenieur entwickeln,“ sagt Michael Rupf ratlos.

Sein Sohn Joshua ist knapp drei Jahre alt, wartet auf einen Kindergartenplatz. „Natürlich hätte Joshua viel Spaß daran, wenn ich ihm eine unserer Schienenanlagen aufbauen würde. Letztlich ist das eine ganz große elektrische Eisenbahn.“