„Adidas wollte uns an der Nase herumführen“, sagt Ingeborg Wick

Am runden Tisch für bessere Arbeitsbedingungen in der Textilbranche weltweit wird viel geredet – ohne Ergebnis

taz: Frau Wick, Sie haben lange für die NGO „Kampagne für Saubere Kleidung“ an einem runden Tisch teilgenommen, der sich der Verbesserung von Arbeitsbedingungen in Dritt-Welt-Ländern widmet. Sie haben diesen runden Tisch nun verlassen. Warum?

Ingeborg Wick: Es war wie eine Beschäftigungstherapie mit immer neuen Vorschlägen und Kompromisslösungen, die nicht eingehalten wurden. Der runde Tisch wollte die Durchsetzung von Arbeits- und Sozialstandards in Entwicklungsländern verbessern – einerseits durch Dialog, andererseits durch die Kooperation in Pilotprojekten.

Was hat nicht funktioniert?

An diesen Projekten sollten alle vier Gruppen – Bundesregierung, Unternehmen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen – beteiligt sein. Aber wir waren die einzige Organisation, die einen Projektvorschlag gemacht hat. Die Diskussion dauerte zweieinhalb Jahre, wir haben unseren Vorschlag immer wieder modifiziert. Als Adidas und KarstadtQuelle dann behaupteten, das Ziel des Projektes sei unklar, hatten wir das Gefühl, dass wir nur noch an der Nase herumgeführt werden.

Was haben Sie denn vorgeschlagen?

Zum einen sollte erprobt werden, wie in einigen indonesischen Zulieferbetrieben existenzsichernde Löhne durchgesetzt werden können. Zum Zweiten sollten sich die Beschäftigten bei Nichteinhaltung von Sozialstandards wirksam beschweren können.

Sind solche Regelungen auch in den freiwilligen Selbstverpflichtungen der multinationalen Unternehmen enthalten?

Fast alle unabhängigen Organisationen, die Verhaltenskodizes überprüfen, haben existenzsichernde Löhne als einen Mindeststandard aufgenommen. Darum haben wir unseren Vorschlag für akzeptabel gehalten. Aber die Unternehmen haben signalisiert, dass dieses Thema sensibel und intern schwer durchsetzbar sei.

Wie haben Sie reagiert?

Flexibel. Wir haben zugestimmt, dass unser Projekt aufgespalten wurde: Zu den existenzsichernden Löhnen sollte zunächst nur eine Studie erstellt werden. Doch dann gab es plötzlich auch bei den Beschwerdeverfahren ein Problem. Wir wollten, dass sowohl das Management als auch die Beschäftigten in den Zulieferfabriken informiert werden, dass das Einkaufsunternehmen künftig auf die Einhaltung bestimmter Standards achten will. Bei Arbeitsrechtsverletzungen sollte dann gemeinsam überlegt werden, wie man das abstellen kann. Aber die beteiligten deutschen Unternehmen wollten bis zuletzt ihre Zulieferer nicht nennen – entgegen der Vereinbarungen.

Warum beteiligen sich Unternehmen überhaupt am runden Tisch?

Verhaltenskodizes sind in Mode. Sie gelten als schöne Alternative zur verbindlichen Umsetzung von Arbeits- und Sozialstandards. Den Unternehmen ist es lieber, wenn sie es nur mit kleinen NGOs und häufig schwachen Gewerkschaften zu tun haben als mit Regierungen.

Wie haben sich denn die Vertreter der Bundesregierung am runden Tisch verhalten?

Sie haben so gut wie nicht reagiert, als die Unternehmen penetrant von uns verlangten, unsere Öffentlichkeitsarbeit zu Arbeitsrechtsverletzungen der am runden Tisch beteiligten Unternehmen einzustellen. Da hätten wir uns eine klare Zurückweisung durch die Regierungsvertreter gewünscht.

Gibt es anderswo bessere Erfahrungen mit runden Tischen?

Ja, in den USA und Großbritannien haben sie praktische Projekte entwickelt. Dort geht es – wenn auch langsam – voran. Ursache dafür ist wahrscheinlich die wesentlich vitalere Rolle, die die Regierungen Clinton und Blair dort vor allem am Anfang gespielt haben.

Haben die Unternehmensvertreter in Berlin alle gleich agiert?

Nein. Ein Kleinunternehmer hat zum Beispiel relativ offen die Position vertreten, dass die Kosten zur Umsetzung von Verhaltenskodizes nicht allein auf die Zulieferer abgewälzt werden dürfen, wie es heute üblich ist. Die anderen haben darauf mit Stillschweigen reagiert. Die großen Unternehmen argumentieren immer, dass ihre Produkte ansonsten teurer werden müssten; dabei sind die Gewinnspannen oft enorm.

Was muss geschehen, damit die Verhaltenskodizes nicht nur Papier bleiben?

Heute sind die von den Multis vorgegebenen Lieferfristen so kurz und der Preisdruck so stark, dass die Zulieferer kaum Chancen haben, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es geht oft gar nicht anders, als dass zum Beispiel die Frauen in der Textilindustrie 15 oder 16 Stunden am Tag nähen müssen. Und die schlechten Löhne sorgen dafür, dass die Beschäftigten an Überstunden interessiert sind. Vor allem diese Praxis ist dafür verantwortlich, dass die häufig durchaus vorhandenen nationalen Gesetze permanent verletzt werden.

Was würde helfen?

Der Hebel, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, liegt bei der globalen Beschaffung der großen Einkaufsunternehmen. Deshalb macht es keinen Sinn, wenn die Ethik-Abteilungen der Unternehmen völlig losgelöst irgendwelche hehren Verhaltensnormen von den Zulieferern fordern. Ethik- und Einkaufsabteilung müssten eng zusammenarbeiten. Nur dann wird sich etwas ändern.

INTERVIEW: ANNETTE JENSEN