„In grünen Flächen eingesperrt“

Lost in Cinemascope: Wong Kar-Wais betörend schöner Film „2046“ ist endlich im Kino. Ein Gespräch mit dem Regisseur aus Hongkong – über die Farbe Grün, die Vorzüge des Breitwandformats und über fiktive Figuren, die zu Besuch vorbeischauen

INTERVIEW CRISTINA NORD

taz: Herr Wong, „2046“, der Titel Ihres neuen Films, scheint sich zunächst einmal auf die Nummer eines Hotelzimmers zu beziehen. In „In the Mood for Love“ tauchte dieses Zimmer auf, und nun ist es wieder da. Aber das ist nicht das Einzige, worauf sich die Ziffer bezieht, oder?

Wong Kar Wai: Wir drehten „In the Mood for Love“ und „2046“ beinahe zur gleichen Zeit. Als wir Ende 1999 begannen, waren es jedoch zwei vollkommen unterschiedliche Projekte, und es war dementsprechend schwierig, an beiden zu arbeiten. Während des Drehs von „In the Mood for Love“ gab es dieses Hotelzimmer, seine Nummer war 30 … irgendwas. Ich sagte: Warum ändern wir die Nummer nicht in 2046 um, schließlich drehen wir diesen anderen Film, der genauso heißt. Das wäre doch lustig, denn „In the Mood for Love“ würde ja bald in die Kinos kommen. Aber irgendwie wurde ein Bindeglied daraus, und für mich war es von da an einfacher, die beiden Filme nicht länger als unterschiedliche Projekte, sondern als zwei Kapitel eines Buches zu betrachten.

Und warum 2046?

Weil es sich auf den Jahreswechsel 1996/1997 bezieht. Damals fiel Hongkong an China zurück, und die chinesische Regierung versprach, dass sich für die ehemalige britische Kronkolonie in den kommenden 50 Jahren nichts ändern würde. 2046 ist das letzte Jahr, für das dieses Versprechen gilt. Zuerst also entschieden wir uns für den Filmtitel „2046“, danach gaben wir dem Hotelzimmer in „In the Mood for Love“ diese Nummer.

Meinem Eindruck nach greift es zu kurz, wollte man „2046“ als Fortsetzung von „In the Mood for Love“ sehen. Vielmehr gibt es Verbindungen auch zu Ihrem frühen Film „Days of Being Wild“. Dieselben Schauspieler und Figuren, Farben, Kulissen und Musikstücke tauchen in jeweils neuen Kontexten auf. So bilden die drei Filme ein Triptychon, mit „2046“ als mächtigem Mittelteil.

Das stellt uns und unsere Standpunkte während unterschiedlicher Abschnitte in unserem Leben dar. „Days of Being Wild“ haben wir 1990 gedreht, und danach führten die Figuren, die wir erschaffen hatten, ihr eigenes Leben. Ich habe kürzlich einen chinesischen Roman gelesen, der mir sehr gefallen hat. Darin geht es um einen Schriftsteller, der von seinen eigenen Figuren aufgesucht wird. Und die sagen: „Also, mein Ende gefällt mir aber überhaupt nicht.“ Das ist ihnen ein Bedürfnis, und in meinem Fall verhält es sich ähnlich: Irgendwann schauen die Figuren aus meinen vorangegangenen Filmen bei mir vorbei, und ich denke mir: Ja, es ist gut, sie wieder aufzunehmen – wie bei einer Wiedervereinigung.

Könnten Sie etwas über die Farben in den drei Filmen sagen? „Days of Being Wild“ hatte als Grundfarbe Grün, „In the Mood for Love“ Rot, und „2046“ arbeitet mit beiden Farben. Am Anfang etwa gibt es im Hotel, dem Haupthandlungsort, diesen roten Vorhang vor einer grünen Wand, später trägt die Figur Jing Wen eine grüne Bluse mit roten Knöpfen.

Sie nehmen das aber sehr genau! Ich bin mir dessen gar nicht so bewusst. In meiner Erinnerung ist „Days of Being Wild“ tatsächlich sehr grünstichig. Denn 1960, also in der Zeit, in der der Film spielt, war Grün für mich die vorherrschende Farbe. Als ich ein Kind war, sagten die Lehrer immer: „Schaut auf grüne Flächen, das ist gut für eure Augen.“ Es gab damals eine Menge grüner Sachen in Hongkong, zum Beispiel die Briefkästen. Und ja, „In the Mood for Love“ ist rot, während der neue Film wieder eher grün ist. Das sind Entscheidungen des Produktionsdesigners, das Hotel hat er eben als grünes Hotel geschaffen. Mir bleibt, darauf zu reagieren.

William Chang, der Produktionsdesigner und Cutter, gehört wie Christopher Doyle, der Director of Photography, zu den Leuten, mit denen Sie immer wieder zusammenarbeiten. Bei der Berliner Premiere von „2046“ sprachen Sie kurz von Fassbinder, der ja auch dafür bekannt ist, eine Filmfamilie gegründet zu haben. Brauchen Sie so eine Familie, um das umzusetzen zu können, was Sie sich vornehmen?

Ich würde einen Film nie als meinen Film bezeichnen. Es ist immer unser Film, Frucht einer Zusammenarbeit. Wir brauchen dafür etwas, was uns aneinander bindet – ein besonderes Vertrauen. Und mein Produktionsdesigner arbeitet dabei nicht für mich, sondern für sich. Er erschafft etwas, und ich bringe das dann in die richtige Ordnung. Mein Lieblingsvergleich für diese Struktur ist der einer Jazzband: Wir jammen zusammen.

Nun ist es ja eher ungewöhnlich, über mehrere Jahre hinweg an einem Film zu arbeiten, so wie Sie es mit „2046“ getan haben. Hilft es, wenn es enge Bindungen zwischen den Beteiligten gibt?

Ja, denn man verliert keine Zeit mit langwierigen Erklärungen. Es gibt bereits ein grundlegendes Verständnis. Während der fünf Jahre, die wir drehten, erhielten wir alle – die Schauspieler, der Director of Photography, der Produktionsdesigner – andere Aufträge. Das hieß: Alle waren eine Zeit lang weg und kamen wieder, und das ging hin und her. Es war ein bisschen wie auf Kuba: Wir kämpfen, aber nach einer gewissen Zeit müssen wir uns ums Geldverdienen kümmern, und anschließend kehren wir zurück.

Es gibt einige Neuerungen in „2046“, zum Beispiel das Format. Es ist das erste Mal, dass Sie mit Cinemascope arbeiten, nicht wahr?

Ja.

Und wie kam es zu dieser Entscheidung?

Wir arbeiteten ja in fast denselben Kulissen wie in „In the Mood for Love“ – also in kleinen Zimmern, Fluren und Treppenaufgängen. Daher war mein Gedanke, dass wir dieses Mal eine andere Perspektive finden sollten. Und weil das Hotel im Film fast wie ein Gefängnis ist, sollten die Figuren so erscheinen, als säßen sie in der Falle.

Sieht man daher so oft ein Bild, dessen größter Teil eine monochrome Fläche ist, eine Wand, ein Schatten?

Ja, und Cinemascope funktioniert in dieser Hinsicht sehr gut, denn das Format zeigt scheinbar so viel – nur sieht man eben wenig. Die Figuren sind in den grünen und blauen Flächen eingesperrt. Andererseits bereitete die Verwendung von Cinemascope auch viele Probleme. Christopher Doyle und sein Team mussten mit vielen Einschränkungen und Behinderungen klarkommen, aber als Herausforderung tat ihnen das gut.

Sie haben eine besondere Auffassung von Raum und Zeit. So taucht zum Beispiel eine Straßenecke, die „In the Mood for Love“ in Hongkong verortet, im neuen Film wieder auf – nur dass sie jetzt in Singapur ist. Außerdem kommt es zu Zeitsprüngen oder zu Verlangsamungen durch Slow Motion, und durch den Science-Fiction-Roman, an dem die Hauptfigur Chow schreibt, kommt noch einmal eine ganz andere Zeitebene hinzu.

Das liegt daran, dass „2046“ die Geschichte der mentalen Reise von Chow erzählt. Eine Irrfahrt, und der Film ist das Tagebuch dieser Irrfahrt. Und wir müssen dies filmisch einfangen. Daher ist die chronologische Anordnung vollkommen unerheblich. In Ihrem Kopf können Sie eine Minute ins Unendliche dehnen, so wie Sie etwas Unwichtiges einfach auslassen können. Dasselbe geschieht mit dem Raum: Sie sitzen in einem Raum und denken zugleich an etwas aus der Vergangenheit, und das schafft eine mentale Anordnung, die mit der tatsächlichen Anordnung nichts zu tun haben muss.

Gilt das auch für die Figuren? Chow hat zwar in „In the Mood for Love“ und „2046“ denselben Namen, wird in beiden Filmen von Tony Leung gespielt, ist dieselbe Person und doch wieder nicht. Warum?

In „In the Mood for Love“ ist Chow ein Mann, der an die Familie, die Ehe und an seine Verpflichtungen glaubt. Er arbeitet hart und geht nicht viel aus. Ein paar Jahre später ist er ein anderer. Nach der ganzen Geschichte mit Maggie [Maggie Cheung, der Darstellerin von Chows großer Liebe in „In the Mood for Love“] und seiner Frau hat er keine Familie mehr, er ist geschieden, hat kein Heim mehr, wohnt im Hotel. Er ist ein Zyniker geworden, und er benutzt seinen Zynismus als Schutzschild. Maggie ist für ihn kein Mensch mehr, sondern eine Vorstellung. In seiner Erinnerung macht er sie zu einer idealen Frau. Unter den Frauen, die ihn umgeben, wird er immer nach dieser vollkommenen Frau suchen. Aber die Suche nach Ersatz – er will in den jeweils neuen Frauen etwas aufspüren, was Maggie hatte – funktioniert nicht. Der Film handelt davon, was nach der Liebe kommt.

Daher also rührt die Nostalgie …

Genau.

„In the Mood for Love“ schließt damit, dass Chow sein Geheimnis einer Spalte zwischen zwei Steinen im kambodschanischen Anchor Vat anvertraut. Im neuen wie auch im vorangegangenen Film wird die Geschichte von einem, der sein Geheimnis dem Loch in einem Baum anvertraut, immer wieder erzählt. Und „2046“ beginnt mit einer Einstellung auf ein Loch – wobei es sich um ein sehr rätselhaftes Bild handelt. Können Sie es mir erklären?

Es ist eine große Kugel aus schwarzem Marmor. Wegen der Licht- und Farbreflexe sieht sie ein bisschen wie ein Baum aus. Und viele nehmen die Form als konkav wahr, obwohl sie konvex ist: eine Illusion. Da wir „In the Mood for Love“ mit einem Loch beschlossen, eröffneten wir „2046“ wiederum mit einem Loch. Wenn auch in einem anderen Raum, einer anderen Zeit und mit einem anderen Sujet.