Punks ohne Punk

Alles stimmte, alles saß: In seiner Vorhersehbarkeit war das Berliner Konzert von Green Day große Unterhaltung. Sogar der Stagediver sprang auf Befehl, die Granaten kamen von der Pyrotechnik

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Im Anfang ist der rosa Hase. Er macht den tausenden die Arm-Akrobatik zu „YMCA“ vor. Dann wird es dunkel, und die Eröffnungshymne der Eröffnungshymnen hallt blechbläsergeschwängert: Strauss’ Zarathustra. Dann kommt die Band und spielt – wer hätte das gedacht! – „American Idiot“, den Titelsong sowohl des aktuellen Albums als auch der am Dienstag in Berlin gestarteten Deutschlandtour. Green Day im Jahr 17 ihres Bestehens, das ist eine bis in die feinsten Verästelungen durchinszenierte Design-Punk-Show im Las-Vegas-Format, dramaturgisch perfekt und in ihrer Erwartbarkeit große Unterhaltung.

Nach ihrem Millionenseller „Dookie“ 1994 und fast zehn Jahren Herumgedümpel im Anschluss haben die drei Kalifornier die Zeichen der Zeit richtig gedeutet und mit dem Konzeptalbum „American Idiot“ auf den Anti-US-amerikanischen Mehrheitsgesellschaftskonsens gesetzt. Sechs Grammy-Nominierungen haben sie bekommen, und das Konzert in Berlin wurde in die monströse Treptower Arena verlegt, um dem Andrang der jugendlichen Fanhorden gerecht zu werden. Und denen wurde dann in knapp zwei Stunden eine vollkommen runde, perfekt glatte, gänzlich unpunkige Supershow geboten: erstes Drittel Material aus dem neuen Album, zweites Drittel alte Burner, drittes Drittel integrative Mitmachspiele – Freiwillige aus dem Publikum spielten Bass, Gitarre, Schlagzeug – und Zugaben. Alles stimmte, alles saß, nichts war jemals weiter vom Exzess entfernt.

Passend zum Coverlogo von „American Idiot“ – einer schwarz-roten Handgranate in Herzform – waren Billie Joe Armstrong, Mike Dirnt und Tré Cool in gut geschnittenes Schwarz und Rot gewandet, und sogar der Mensch, der ausschließlich dazu abgestellt war, den Mikrofonständer des kajalumflorten Chef-Charismatikers Armstrong immer wieder gerade zu rücken, trug Krawatte. Dramaturgisch präzise knallte und krachte es, Feuersäulen stiegen in Speer’scher Symmetrie empor.

Da der sicher oft geprobte Show-Ablaufplan außer einer didaktisch knapp gefassten Kurzpredigt kurz vor Schluss – „One thing I wanna tell you: Don’t let yourselves be ruled by your government!“ – nicht mehr politische Artikulation zuließ, musste eben die Pyrotechnik die Granaten zünden. Rebellion als Dekor, gut verträglich auch mit den Emblemen der ehemaligen Enemy-Subkultur: Zur Untermalung der Ballade „We Are The Waiting“ baumelte eine megalomane Diskokugel vom Himmel, in rosa Licht getaucht, wozu der riesige Green-Day-Schriftzug über der Bühne campy in allen Regenbogenfarben blinkte. Da steht der Punk in seiner dreckigen Variante auch nicht deswegen wieder auf, weil der Herr Sänger ein bisschen wild in die Luft springt oder Ladies aus dem Publikum dazu nötigt, mit einer Wasser-Pumpgun die Leute in den vorderen Reihen zu bespritzen.

Green Day geht es schon lange nicht mehr um Provokation, sondern um perfekte Beherrschung der Party-Diktator-Übungen. Nichts passiert, wenn es der Frontmann dem grundsätzlich äußerst mitmachwilligen Volk nicht anordnet: kein „Hey-Ho!“-Brüllen im rhythmischen Wechsel, kein Arme-in-die-Luft-Reißen, und sogar der einzige Stagediver des Abends sprang auf Befehl. Konsequent stand Entertainer Armstrong am Ende im Königsmantel und mit Krone auf dem Kopf auf der Bühne und intonierte als Zugabe „We Are The Champions“, wozu aus einer Gebläsekanone mit Herzhandgranaten bedruckte Papierschnipsel niederregneten. Freddy Mercury hätte seine helle Freude gehabt.

Weitere Green-Day-Tourdaten: Offenbach: 14. 1., Böblingen: 15. 1., Düsseldorf: 20. 1., Hamburg: 21. 1.