„Das Neue mache ich mit“

Sozialistische Traumfabrik: Nicht nur das Kino, auch Architektur und Städteplanung gaben in der DDR Versprechen einer besseren Zukunft. In einer Vierzimmerwohnung in der Allee der Kosmonauten lassen Ylva Queisser und die Fotografin Lidia Tirri noch einmal den Geist von Marzahn aufleben

Seit der Wende gehen mehr Menschen weg aus den Plattenbauten als herziehen

VON SEBASTIAN FRENZEL

Es war das zweite große Prestigeobjekt der Wohnungsplaner in der Hauptstadt der DDR. Nach der Fertigstellung der Stalinallee wurde in den 1970er-Jahren auf dem Reißbrett ein neuer Stadtteil entworfen, in dem die Arbeiterinnen und Arbeiter künftig die Errungenschaften des Sozialismus schätzen lernen sollten. Fernheizung statt Kohleofen, das Klo innen statt auf halber Treppe, mehr Licht und mehr Wohnraum. Marzahn entwickelte sich mit 150.000 neuen Bewohnern zum größten städtebaulichen Ensemble, das die DDR je realisiert hat.

Für die Hauptstraße des Bezirks war schnell ein klangvoller Name gefunden: Allee der Kosmonauten. Der Name drückte all das aus, was man den Menschen hier auch architektonisch versprach: Fortschritt und Zukunft, Utopie und Weite. Das Kino, das gleich hinter dem S-Bahnhof Springpfuhl gebaut wurde, hat man dann „Sojus“ genannt, mit einem roten Stern auf dem j, eine sozialistische Traumfabrik.

Das Sojus gibt es immer noch und auch den Stern im Namenszug. Allerdings hängt jetzt ein großes Banner vor dem Gebäude, das „Maxi Kino – Mini Preise“ und Filme für 1,50 Euro anpreist. Die seltsam arbiträr verteilten Plattenbauten, die hier bis zu 25 Stockwerke in die Höhe ragen, haben einen neuen Anstrich bekommen und zeigen ihre Farben allzu deutlich her; doch das Blau, Orange oder Gelb kann die Tristesse der Umgebung nicht übertünchen.

Zwischen den Plattenbauten sind neue Häuser entstanden im unverfänglichen Stil der Nachwendejahre. Am Marzahner Tor bauen sie das Kaufhaus Eastgate. Schicke Autos legen sich in die Kurven der vierspurigen Straße, in deren Mitte die Metrolinie 8 verkehrt. Die Allee der Kosmonauten, kurz AdK, hat sich verändert in den letzten Jahren: Aus dem urbanen Vorzeigeprojekt von einst ist ein architektonischer Gemischtwarenladen der Gegenwart geworden.

Wie es sich einst lebte in der AdK und wie es sich hier heute lebt – diesen Fragen geht die Ausstellung „Allee der Kosmonauten. Einblicke und Ausblicke aus der Platte“ nach. Die Stadtsoziologin Ylva Queisser und die Fotografin Lidia Tirri haben Bewohner von 16 Plattenbauwohnungen befragt, die es wissen müssen: denn allesamt gehören sie zu den Erstbewohnern, die ab 1978 in die soeben fertig gestellten Räume zogen. Und alle sind sie bis heute geblieben. Dass dies nicht eben die Regel ist, zeigen die vielen leer stehenden Wohnungen in der Umgebung; seit der Wende gehen mehr Menschen aus Marzahn weg als herziehen.

Für die Ausstellungsmacherinnen hat sich aus dieser Fluktuation jedoch eine originelle Chance ergeben: Präsentiert wird die Schau in einer Vierzimmerwohnung im 17. Stock eines Plattenbaus. Mit den niedrigen Decken, dem PVC-Boden und der Durchreiche von der „Arbeitsküche“ zum Esszimmer herrscht eine markante Mischung aus Funktionalität und Mief, aus 70er-Jahre-Schick und Ranzigkeit. Ein Eindruck, den die Möbel – allesamt Leihgaben des Bezirksmuseums – noch verstärken.

An den Zimmerwänden hängen Auszüge aus den Gesprächen mit den Bewohnern. „Ich war jung, hatte viele Ziele und Interessen und sagte mir, das Neue mache ich mit“, sagt da eine Frau auf die Frage, warum sie hergezogen sei. Unaufgeregt und distanziert erzählen die Menschen vom Alltag in der DDR. Doch häufig spricht auch Resignation aus den Texten.

Immer wieder wird an die Gemeinschaft von damals erinnert und an die vielen Hausfeste. Es waren Rituale der Zusammengehörigkeit, so erfährt man von einer anderen Bewohnerin, die man allerdings auch nicht missen sollte, wollte man nicht als verdächtig gelten.

Die Fotos von Lidia Tirri sind mehr als bloße Illustrationen zu den Texten. Wie Schnappschüsse wirken die Aufnahmen der Bewohner und ihrer Wohnungen: Die Baileys-Flasche neben dem Flaschenöffner „made in GDR“, die Anrichte aus Ostzeiten neben der Couch Marke „Möbel Hübner“ zeigen auf ihre Weise, wie das Neue mit dem Alten zusammengewachsen ist.

Lohnenswert ist die Ausstellung aber nicht zuletzt aufgrund der angekündigten „Ausblicke“, die die breiten Fenster der Wohnung tatsächlich ermöglichen. Von hier oben kann man jetzt sehen, wie sich Eigenheime in die Freiflächen zwischen den Hochhäusern gestopft haben, man kann den Blick schweifen lassen über Marzahn bis zum Alex hinüber. Bevor man wieder hinuntermuss auf die Allee der Kosmonauten.

Bis 23. 1., Mi.–Fr. 15–19, Sa./So. 13–19 Uhr, Allee der Kosmonauten 145 (Eingang Rückseite); ab 26. 1 bis 6. 2. in der Torstraße 203