In der Sprache fallen die Tabus

Macht und Ohnmacht sind die Modi des Genusses: Mit seinem auf einer Theatervorlage basierenden Film „Hautnah“ inszeniert Mike Nichols einen mechanischen Reigen – er macht nicht viel mehr, als London als mondäne Stadt zu zeigen und seinen Starschauspielern das nötige Tempo zu verordnen

VON BERT REBHANDL

Vier Menschen in London: Larry ist Dermatologe. Anna fotografiert. Dan schreibt Bücher. Alice zieht sich aus. Es ist die geläufige Geschichte vom Leben in der Stadt. Weiß, selbstbewusst, ledig sucht Liebe mit wildem Sex und nach dem Beischlaf noch die Bestätigung, dass man gut war.

Es gibt jedoch eine Geschlechterdifferenz in „Hautnah“, dem neuen Spielfilm von Mike Nichols. Die beiden Männer kriegen nicht so viel mit wie die beiden Frauen. Larry (Clive Owen) und Dan (Jude Law) sind zu sehr von sich eingenommen. Der Thron, von dem sie stürzen, ist hoch. Anna (Julia Roberts) und Alice (Natalie Portman) sind dünnhäutig. Sie nehmen teil am betrügerischen Spiel, aber sie wollen einen Rest für sich behalten. Alice gibt sich als Stripperin den Männern in einer Weise preis, von der sie sich in der kleinen Bohemewohnung mit Dan erholt. Anna schützt sich mit einer Aura des prüfenden Blicks. Sie ist die Seele ihrer Kamera. Ihr entgeht nichts, sie lässt aber wenig erkennen. Als Dan endlich ein erfolgreiches Buch veröffentlicht, muss er natürlich auch ein Bild von sich herstellen lassen, und bei dieser Begegnung entsteht etwas zwischen ihm und Anna, worüber der Film sich dann zuerst einmal ausschweigt. Später wird es doch noch enthüllt, denn es geht um lückenlose Aufklärung von Intimität.

Über Sex wird in „Hautnah“ in erster Linie gesprochen. Das ist die zentrale Idee von Patrick Marbers Theaterstück, auf dem der Film basiert. Die Tabus, die im Bett gebrochen werden, müssen in der Sprache fallen. Im englischen Original bekommt „Closer“ durch das Spiel und den sehr britischen Akzent von Clive Owen und Jude Law eine ganz eigene Note: Die beiden Schönlinge geben sich auf eine lächerliche Weise präpotent. Sie zeigen Eier, wie Oliver Kahn sagen würde.

Jude Law, dessen viel versprechende Karriere seit „Unterwegs nach Cold Mountain“ in den Orkus der Eitelkeit stürzt, ist ein neuer Malcolm MacDowell. Irgendwann wird er in einem Remake von „Caligula“ spielen. Clive Owen, der in Robert Altmans „Gosford Park“ die Souveränität eines Bediensteten ohne jeden Snobismus definierte, zeigt in „Hautnah“ das Gockelgehabe, das die Theatervorlage nahe legt. In einer besonders „kontroversen“ Szene gerät Dan in einen Internetchat mit Larry. Der Arzt will in der Zigarettenpause einfach einen schnellen Kick im Netz. Der Schriftsteller gibt sich aus einer Laune heraus eine weibliche Identität und beschämt den anonymen Partner durch sein Ungestüm. Zum Rendezvous erscheint dann aber Anna – eine kleine Intrige von Dan; sie treibt den Reigen voran.

Alice ist die einzige Figur, die keine Luxusprobleme hat, die nicht zwischen Verlag und Vernissage, London und New York, Loft und Designerküche lebt. Sie schlägt sich durch, sie will mit Dan eine romantische, kleine Existenz, mit Stullen zum Frühstück und Poesie durch den Tag. Sie ist, bei allem Bemühen von Patrick Marber um Ausgewogenheit, die Knetmasse des Stücks, und Natalie Portman, die gegen ihr Image als Nymphchen anspielt, hat es schwer neben den Alphatieren des Kinos.

„Hautnah“ besteht im Wesentlichen aus den Dialogen, denen das Theater deutlich anzumerken ist. Mike Nichols macht nicht viel mehr, als London als mondäne Stadt zu zeigen und den Schauspielern das nötige Tempo zu verordnen. Er kann gar nichts falsch machen, denn diese Vorlage ist so perfekt auf nachbürgerliche Vorstellungen von „Sex in the City“ abgestimmt, dass sie mit ihrem Pathos der Freizügigkeit beinahe wie eine Gegenreaktion auf die Ironie und Anzüglichkeit einschlägiger Fernsehserien wirkt. Immer wieder kippt diese Freizügigkeit um in Geständnisrituale. Macht und Ohnmacht sind die eigentlichen Modi des Genusses in diesem Film, der im Einvernehmen mit der Theatervorlage die Behauptung formuliert, von Sex lasse es sich eben doch direkt und unzensiert und, ja, unverschämt handeln, ohne in die Schmuddelecke zu geraten. Ein Publikum, das diese Leistung für eine solche hält, wird den Film goutieren und manche Dialoge gewagt finden. Alle anderen werden sich langweilen.

„Hautnah“. Regie: Mike Nichols. Mit Julia Roberts, Jude Law u. a. USA 2004, 105 Min.