Transatlantische Spiegel

Amerikahass revisited: Andrei Markovits trägt seine Befunde zum europäischen Antiamerikanismus und Antisemitismus zusammen – „Amerika, dich hasst’s sich besser“

VON MARTIN ALTMEYER

Andrei Markovits’ Buch kommt gerade rechtzeitig, um eine Europabegeisterung zu dämpfen, die angesichts der europäischen Opposition gegen den Irakkrieg und nach dem Schock über die Wiederwahl des amerikanischen Kriegspräsidenten um sich greift. Es kann als kritischer Kommentar zum neu erwachten Selbstbewusstsein Europas gelesen werden, das sich anschickt, der Supermacht USA die Zähne zu zeigen. Der Autor geht allerdings so weit, den neuen Antisemitismus in Europa „als Epiphänomen des Antiamerikanismus auszumachen“. Das ist eine steile These, die Markovits vom französischen Neocon André Glucksmann übernommen hat – allzu steil, um nicht am Ende damit abzustürzen.

Dennoch ist die Lektüre dieser Aufsatzsammlung zu empfehlen, auch wenn der Autor Richtiges mit Falschem vermischt und am Ende seine These überzieht. Lesenswert ist das Buch vor allem deshalb, weil es jene mentale Abhängigkeit deutlich macht, die Europa und die USA von jeher miteinander verbindet. Der Autor beschreibt die transatlantische Beziehung als eine komplizierte Spiegelbeziehung, die sich für Wahrnehmungsverzerrungen und Wunsch- wie Hassprojektionen geradezu anbietet. Der „Status Amerikas als halluziniertes Gegen-Europa“ bildet seine erkenntnisleitende Hintergrundannahme.

Markovits registriert im ersten Kapitel einen Überschuss im amerikafeindlichen Konsens der europäischen Eliten, der sich durch die aktuelle Politik der amerikanischen Regierung keineswegs erklärt, sondern bloß bestätigt sieht. Im zweiten Kapitel vermittelt er einen historischen Rückblick auf antiamerikanische Affekte in Europa, die er bei den deutschen Romantikern ebenso findet wie bei Heinrich Heine, bei Karl May und Knut Hamsun ebenso wie bei Maxim Gorki und Bert Brecht, bei den deutschen Nazis ebenso wie bei der französischen Kulturlinken. Das dritte Kapitel – aus meiner Sicht das beste, erhellend, aufklärerisch im Wortsinne – untersucht die Verwendung des Begriffs „Amerikanisierung“, der als projektive Drohvokabel gerne zur Abwehr aller möglichen Entwicklungen (in Gesundheitswesen, Sozialpolitik, Kultur, Medien, ja in der gesamten Arbeits- und Lebenswelt) verwendet wird. Dieses europäische Codewort für die Angst vor Moderne und Modernisierung steht im Grunde für die Furcht vor den Folgen einer Globalisierung unter kapitalistischen Vorzeichen, wie Markovits überzeugend darlegt. Dass das Schreckgespenst „amerikanischer Verhältnisse“ wohl vertraute Gesichtszüge trägt – früher hätte man gesagt: „die Fratze des Kapitals“ –, sollte uns doch zu denken geben.

Solche Einsichten könnten zu einer Überprüfung alter und neuer Gewissheiten führen, etwa folgender: Wir verstehen nicht, weshalb Mittel- und Osteuropa sich in die antiamerikanische Einheitsfront nicht eingliedern möchten. Dass die neuen Beitrittsländer, der Erfahrung totalitärer Gesellschaftsmodelle hinter dem Eisernen Vorhang gerade entronnen, lieber den amerikanischen Traum weiterträumen, empört uns geradezu. Ganz so, als ob wir den Zusammenbruch der realsozialistischen Welt, die sich als totalitärer Albtraum erwiesen hat, intellektuell (um nicht zu sagen: ideologisch) nicht bewältigt hätten. Womöglich steht jene Trauerarbeit der Linken noch an, die dem Verlust der sozialistischen Utopie zu folgen hätte. Und die Neigung, jede Schandtat auf dieser Welt dem kapitalistischen Westen anzulasten und vor allem seiner aggressiven Führungsmacht, den USA, wäre ein Symptom unserer „Unfähigkeit zu trauern“.

Davon aber redet Markovits nicht, weil er etwas anderes im Visier hat: die Identität des vereinten Europa. Die Ost-West-Unterschiede in der europäischen Erfahrung des letzten Jahrhunderts ignorierend, wirft er alles in einen Topf. Es gebe – so behauptet er im vierten Kapitel, dem schwächsten des ganzen Buchs – „prinzipiell keine länderspezifischen Unterschiede in Europa“, Antiamerikanismus und Antisemitismus seien überall miteinander verschwistert. Nun gibt es solche engen Verbindungen in der Tat, nicht nur bei der europäischen Rechten, sondern auch bei der Neuen Linken. Antiamerikanismus und Antisemitismus überschneiden sich gelegentlich – aber sie sind nicht das Zwillingspaar, das Markovits konstruiert. Ausgerechnet über den populistischen Antikapitalismus finden die beiden gerne zusammen, im mentalen Untergrund totalitärer Massenbewegungen verbinden sich das antiamerikanische, das gegenmoderne und das antisemitische Ressentiment – wie im Faschismus, im Stalinismus und neuerdings auch in den paranoiden Verschwörungstheorien des islamistischen Totalitarismus gut zu erkennen.

In ihrer weitsichtigen Studie „Europa und Amerika“ hat Hannah Arendt den inneren Zusammenhang von Antiamerikanismus, Europatümelei und Amerikanismus schon vor einem halben Jahrhundert beleuchtet. Sie wird im fünften, zusammen mit Lars Rensmann verfassten Kapitel auch ausgiebig referiert. Den „Amerikanismus“, von dem die Vordenkerin des antitotalitären Diskurses spricht, lässt Markovits freilich außer Acht; er gehört aber zum europäisch-amerikanischen Spiegelverhältnis dazu, auch wenn diese Vorherrschaftsideologie des „America first“ nicht ins Bild des strengen Europakritikers passt. Wenn er, nur ein weiteres Beispiel für seinen Hang zur überzogenen These, bei Übersetzungen aus dem Amerikanischen den üblichen Hinweis „Aus dem Amerikanischen“ als Beleg für eine Herabwürdigung Amerikas anführt, das nicht einmal der englischen Sprache mächtig sei, hätte ihm ein Lektor erklären sollen: Nein, lieber Andy Markovits, hier kommt geradezu die europäische Wertschätzung amerikanischer Literatur zum Ausdruck. Die Vereinigten Staaten von Amerika mögen der Albtraum Europas sein – sie waren stets auch der europäische Traum.

Andrei S. Markovits: „Amerika, dich hasst sich’s besser“. Konkret Verlag, Hamburg 2004, 240 Seiten, 15 Euro