Abu-Ghraib-Urteil
: Armselige Supermacht

Das Strafmaß für den Abu-Ghraib-Misshandler Charles Graner geht in Ordnung. Nur: Der Wahrheitsfindung ist mit diesem Prozess vor einem texanischen Militärgericht bei weitem nicht Genüge getan. Während Soldat Graner jetzt für zehn Jahre hinter Gitter gehen muss, scheint der Bestätigung des designierten Justizministers Alberto Gonzales, der als Bushs Rechtsberater einschlägige Gutachten pro Folter verfasste, nichts mehr im Wege zu stehen. Das bigott zu nennen ist noch harmlos.

KOMMENTAR VON BERND PICKERT

Seit die Folterbilder weltweit veröffentlicht wurden, hat die Bush-Regierung nichts unversucht gelassen, die Geschehnisse als bedauerliche, ja schockierende Einzelfälle darzustellen. Die Recherchen etwa des Journalisten Seymour Hersh zeigen jedem, der es wissen will, dass Abu Ghraib sicherlich ein Exzess war – und doch nicht mehr als eine logische Konsequenz dessen, was die oberste Führung von Pentagon, Justizministerium und Weißem Haus als Leitlinie für den Umgang mit Gefangenen im Krieg gegen den Terror ausgegeben hat.

Das Besondere an Abu Ghraib ist nur, dass Fotos davon an die Öffentlichkeit gelangt sind. Dadurch ist ein Handlungsdruck entstanden, der zu dem Urteil an Graner geführt hat und vermutlich auch die Gefreite Lynndie England ins Gefängnis bringen wird. Ihr Prozess beginnt in der kommenden Woche.

Das politische Verhalten der US-Regierung und die Belobigung von Alberto Gonzales aber zeigen, dass die Message der Urteile nur ist: Du sollst dich nicht erwischen lassen. Wie würde die Öffentlichkeit wohl reagieren, wenn sie Bilder davon sehen könnte, was mit den geheimen Gefangenen der CIA geschieht, die noch immer in klandestinen Charterflügen in Folterländer verbracht werden? Was, wenn sie detaillierte Fotos vom Umgang mit den Gefangenen in Guantánamo zu Gesicht bekäme?

Während der größere Teil der US-Öffentlichkeit protestieren würde, nähme ein kleinerer Teil – auch das haben sowohl die Senatsanhörungen zu Abu Ghraib als auch der Graner-Prozess gezeigt – die Misshandlungen billigend in Kauf. Schließlich handelt es sich bei den Opfern doch um „den Feind“.

Diese Bereitschaft zur Missachtung von Menschenrechten ist keine Eigenart der USA. Das hat die deutsche Debatte um den Fall Daschner gezeigt. Sie bleibt aber ein Armutszeugnis für eine Supermacht, die mit missionarischem Eifer die Welt demokratisieren will.