Die Botschaften des toten Genossen

Der mexikanische Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II und der geheimnisumwobene Subcomandante Marcos haben gemeinsam einen Krimi geschrieben. Der literarische Schlagabtausch verbindet einen Detektiv aus Mexiko-Stadt mit einem Maya-Kollegen und verwebt in seinem Plot aktuelle Themen

Viele ausländische Verlage haben sich bereits die Rechte am Roman gesichert

VON ANNE HUFFSCHMID

Im Land der Zapatistas gibt es keine Detektive. Oder doch, aber sie heißen hier anders, nämlich in bester revolutionärer Manier „comisión de investigación“, zu Deutsch: Ermittlungskommission. Dies erläutert dem Leser ein gewisser Elías Contreras, einst Kämpfer der zapatistischen Truppen, der sich inzwischen als „comisión“ seine Tortillas verdient und im Auftrag der comandancia auf seinem Maulesel von Dorf zu Dorf trottet, um ungeklärte Fälle zu lösen: etwa den einer spurlos verschwundenen Frau, die von bösen Paramilitärs verschleppt worden sein soll.

Wie der Maya-Detektiv, der nach seiner eigenen Sturköpfigkeit benannt ist („Contreras, immer gegen alles“), herausfindet, hat sich die Dame jedoch vielmehr vor ihrem prügelnden Ehemann davongemacht. Diese – feministisch korrekte – Episode bildet den Auftakt eines bizarren literarischen Schlagabtauschs, der eine Weltpremiere darstellen dürfte: ein vierhändiger interaktiver Kriminalroman, verfasst von zwei der populärsten Autoren des Landes – dem mexikanischen Krimischriftsteller Paco Ignacio Taibo II und dem literarisch ambitionierten Guerillastrategen aus der Region Chiapas, dem geheimnisumwobenen Subcomandante Marcos.

„Als hätte Marilyn Monroe soeben um meine Hand angehalten“, so sei ihm zumute gewesen, sagte Taibo, als er den Umschlag öffnete, den ein Bote ihm Ende November in Mexiko-Stadt überreichte. Der Umschlag enthielt die Einladung seines klandestinen Kollegen – jede Woche abwechselnd ein Kapitel, ein Plot mit Open End, und das in aller Öffentlichkeit. Seit Anfang Dezember können mexikanische Leserinnen und Leser der linken Tageszeitung La Jornada, die seit Januar 1994 jede schriftliche Mitteilung der Zapatistenguerilla im Wortlaut abdruckt, das Pingpong zwischen Asphalt- und Lacandonendschungel allwöchentlich verfolgen.

Der zerstreute Elías Contreras, der als eine Art indigener Colombo durch die Berge zieht, ist eine neue Kreation aus dem Marcos’schen Figurenkabinett. Taibos Hauptfigur Héctor Belascoarán hingegen kennen Krimifans schon seit Jahren. Der Stadtmelancholiker mit Augenklappe und Schlafstörungen ist so etwas wie die mexikanische Antwort auf Philip Marlowe.

Immer wieder fühle er sich als „der Letzte der Mohikaner“, seufzt Belascoarán, der als Kettenraucher und bekennender Coca-Cola-Trinker unverkennbar ein Alter Ego seines Schöpfers ist. Am liebsten sitzt er auf dem Dach und lässt Papierflieger über das funkelnde Häusermeer der wuchernden Metropole Mexiko-Stadt segeln.

Seine Kunden versucht er mit einem lakonischen „Alec Guiness“-Gesicht zum Sprechen zu bringen. Vieles hat Héctor Belascoarán mit seinem einen Auge schon gesehen, doch der neue Fall – mit dem Taibo auf den Marcos-Auftakt reagiert – übersteigt sein Fassungsvermögen: ein nachweislich toter Genosse aus den 68er-Zeiten hinterlässt plötzlich mysteriöse Nachrichten auf Anrufbeantwortern und Faxgeräten. Darin berichtet der Tote von in südkalifornischen Pornostudios gedrehten Bin-Laden-Videos, in denen ein mexikanischer Taco-Verkäufer namens Juancho den Turbanträger spielt. Die Fäden zu diesem Komplott zieht offenbar ein zum Politmafiosi mutierter Exguerillero, der auch in Chiapas sein Unwesen treibt und an dessen Fersen sich Belascoarán heftet.

Im Drauslosfabulieren stehen sich beide Autoren in nichts nach. Elegant greift einer jeweils die Nebenfiguren des anderen auf – etwa die des Chinesen Fuang Chu, der als ehemaliger Zellengenosse des Toten zu einer Schlüsselfigur des Romans wird. Verwoben ist die schmutzige Geschichte der mexikanischen Repression mit aktuellen Konflikten wie der Räumung um das von Indigenen besiedelten Bioreservat Montes Azules.

Neben dem verschachtelten Plot sind beide Erzählstränge von einem Reigen surrealer Figuren und Begebenheiten bevölkert: Da gibt es einen schwulen, philippinischen Automechaniker, der in den Bergen als internacionalista gegen die Rebellenelf spielt und eigentlich „nicht weiß, was ich in diesem Roman soll“. Oder sein compañero, ein italienischer Gourmetkoch, der davon überzeugt ist, dass gutwillige Ufos in Bälde auf zapatistischem Gebiet landen und dann dringend einen Koch brauchen werden. Es geht um Domino und Cola-Flaschen mit Korkverschluss und wie in jedem guten Krimi auch um geheimnisvolle Herzensbrecherinnen.

Sechs der geplanten zwölf Kapitel sind schon erschienen. In Bälde sollen sich die beiden Ermittler in der „Monsterstadt“ treffen, natürlich am Revolutionsdenkmal. Was die literarische Begegnung bei aller wuchtigen Politfolklore so charmant zu lesen macht, ist vor allem die Mundart der Protagonisten: der rotzig-melancholische City-Slang des Großstadtpiraten Belascoarán und der melodiöse Singsang des Tzotzil-Indianers Elías Contreras, der die spanische Grammatik permanent auf den Kopf stellt und dabei ein „tzotzilisiertes Spanisch“ hervorbringt, wie Taibo die linguistische Schöpfung seines Koautors nennt.

Dritter im detektivischen Bunde sollte eigentlich Pepe Carvalho werden, der Gourmetdetektiv von Manuel Vázquez Montalbán. Der katalanische Autor gehörte zu den treuesten ausländischen Sympathisanten der Zapatistas. Einen Besuch beim Subcomandante hatte er vor Jahren zu seinem Buch „Marcos – Herr der Spiegel“ verarbeitet. Da Vázquez Montalbán letztes Jahr jedoch überraschend verstarb, hat Marcos ihm den Roman nun als „Hommage“ gewidmet.

Internationale Verlage haben sich die Rechte für die „Unbequemen Toten“, so der Titel des Gemeinschaftswerks, bereits gesichert. Verkauft ist es für die spanischsprachige Welt an die Planeta-Gruppe sowie an Verlage in den USA, Frankreich, Griechenland, Italien und der Türkei. Doch verdienen wollen die beiden Autoren daran nichts: Ihre Honorare werden an eine im Zapatistengebiet tätige Nichtregierungsorganisation weitergeleitet. Auf Deutsch wird der Roman im Sommer beim Berliner Verlag „Assoziation A“, der schon diverse Taibo-Krimis veröffentlicht hat, erscheinen.

Niemals zuvor habe man „die Katze im Sack“ gekauft, meint Verleger Theo Bruns. Doch dieser „diskurspolitisch gelungene Coup“ war dem Verlag eine Ausnahme wert.