Arbeitsagentur pflegt jetzt auch Härtefälle

Die Arbeitsagenturen zahlen die Kranken- und Pflegeversicherungen nun auch für Langzeitarbeitslose, die kein Arbeitslosengeld II erhalten. Sonst würden unverheiratete Paare durch Hartz IV unter die Bedürftigkeitsgrenze rutschen

BERLIN taz ■ Die Arbeitsmarktreformen Hartz IV gelten kaum drei Wochen, da sieht sich das Wirtschaftsministerium zur Korrektur genötigt: Die Arbeitsagenturen zahlen die Kranken- und Pflegeversicherung nun auch für Langzeitarbeitslose, die kein Arbeitslosengeld II erhalten. Davon werden vor allem Menschen in nichtehelichen Partnerschaften profitieren.

Zuvor war es zu Härtefällen gekommen: Durch Hartz IV haben viele Langzeitarbeitslose nicht nur den Anspruch auf das Arbeitslosengeld II verloren – gleichzeitig zahlt der Staat auch ihre Kranken- und Pflegeversicherung nicht mehr. Damit kann jeder leben, der verheiratet ist und über eine Familienversicherung verfügt. Doch bei nichtehelichen Beziehungen muss nun der verdienende Partner einspringen und eine freiwillige Versicherung für seinen Lebensgefährten finanzieren. Gerade in tendenziell armen Haushalten fehlen dafür aber die Mittel. Folge: Durch die Zusatzversicherung geriet das Paar wieder unter die Bedürftigkeitsgrenze – und musste nun doch Arbeitslosengeld II beziehen.

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, nutzten die Arbeitsagenturen bisher einen Notbehelf: Sie gewährten den Betroffenen ein Arbeitslosengeld II von einem Cent – um sie pauschal krankenversichern zu können. Diese Spontanhilfe regelt das Wirtschaftsministerium nun neu: Für die Krankenversicherung gibt es künftig einen maximalen Zuschuss von 125 Euro und für die Pflegeversicherung bis zu 15 Euro.

Das ist für die Betroffen nicht unbedingt vorteilhaft, fürchtet die grüne Sozialexpertin Thea Dückert: Bei der 1-Cent-Regelung waren die Langzeitarbeitslosen pauschal über die Jobcenter versichert – „nun müssen sie sich individuell eine Krankenkasse suchen und mit ihr über den Versicherungssatz verhandeln“. Der könnte auch höher als 125 Euro liegen. Außerdem sind die Langzeitarbeitslosen – anders als bei der 1-Cent-Regelung – nicht mehr rentenversichert. Das ist vom Wirtschaftsministerium gewollt: Die Langzeitarbeitslosen in nichtehelichen Partnerschaften sollen nicht besser dastehen als Verheiratete – denn auch die Familienversicherung schließt keine Rentenzahlung ein.

Doch nicht nur die Krankenversicherung unverheirateter Langzeitarbeitsloser schafft Probleme bei Hartz IV. Der Sozialverband Deutschlands (SoVD) hat eine weitere „massive Ungleichbehandlung“ entdeckt – diesmal von armen Familien. Sie erhalten einen Kindergeldzuschlag von maximal 140 Euro pro Kind, falls die Eltern arbeiten, aber nicht genug verdienen, um den Lebensunterhalt ihrer Kinder zu bestreiten. Der Kinderzuschlag soll verhindern, dass die Familie unter die Bedürftigkeitsgrenze rutscht und Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld beziehen muss.

Doch diese vorgebliche Wohltat ist offenbar keine: Laut SoVD verlieren Familien bis zu 440 Euro monatlich, wenn sie den Kinderzuschlag und nicht das Arbeitslosengeld II beziehen. Dies gilt allerdings nur in dem speziellen Fall, dass zumindest ein Elternteil bisher das Arbeitslosengeld I bezogen hat. Denn für den Übergang zu Arbeitslosengeld II gilt eine zweijährige Frist, in der die Differenz zwischen den beiden Unterstützungsleistungen erst zu zwei Dritteln, dann zu einem Drittel ausgeglichen wird.

Wie viele Familien betroffen wären, kann niemand sagen. Die Bundesagentur für Arbeit zweifelt an der SoVD-Analyse: Familien dürften nur selten einen Zuschlag zum Arbeitslosengeld II erhalten, prognostiziert ein Sprecher. Grund: Das Arbeitslosengeld I des Versicherten würde mit dem Arbeitslosengeld II der gesamten „Bedarfsgemeinschaft“ verglichen.

ULRIKE HERRMANN