Klassik ohne Frauen

4 gegen 46, und von deutschsprachigen Autorinnen gar keine Spur: Die SZ-Bibliothek ist eine Männerdomäne

Der Kanon der Jungs übergeht u. a. Ingeborg Bachmann und Virginia Woolf, Sylvia Plath und Simone de Beauvoir

Eigentlich macht ja schon etwas länger der Slogan vom „Fräuleinwunder“ die Runde, sobald von deutscher Literatur die Rede ist. Nicht ohne Grund. Denn blickt man Jahr für Jahr in die Verlagsprogramme und auf die Preisträgerlisten, so tauchen dort tatsächlich jede Menge Frauennamen auf. Von Judith Herrmann bis Juli Zeh. Von Julia Frank bis Franziska Gerstenberg. Von Antje Rávic Strubel bis hin zu Jenny Erpenbeck – um nur einige der zurzeit gefeierten jungen Dichterinnen zu nennen. Zudem sollte der zuletzt vergebene Literaturnobelpreis an Elfriede Jelinek, deren Bücher beim hiesigen Rowohlt Verlag erscheinen, dafür bürgen, dass Romanschreiben längst kein klares „Männergeschäft“ mehr ist. Sollte man meinen.

Doch werden die Fräuleins offenbar immer noch nicht ganz ernst genommen. Zumindest nicht dort, wo es um die Gunst des deutschen Zeitungslesers und um eine angeblich repräsentative „klassische Bibliothek der Moderne“ geht. Nichts Geringeres möchte die „SZ-Bibliothek“, die der Münchner Hauszeitung seit knapp einem Jahr als literarischer Appetithappen beiliegt, nach verlagseigener Aussage sein. Mit über sieben Millionen verkauften Exemplaren ist die Billigbuchserie tatsächlich zum erfolgreichen Finanzierungsmodell eines weiterhin angeschlagenen Gazettenmarkts avanciert, das bei Bild (25 Bände Bestseller), der Zeit (eine eigene Enzyklopädie) und der Welt (DVDs zur ZDF-Serie „Discovery“) längst eifrige Nachahmer gefunden hat.

44 Titel zum Schnäppchenpreis von 4,90 Euro führt die SZ-Bibliothek derzeit im Angebot. Darunter allerdings gerade einmal drei Romane, die von Frauen geschrieben wurden. Wenn das auf 50 Bände konzipierte Sortiment am 26. Februar vollständig sein wird, werden es genau 4 Frauentitel sein – gegenüber 46 Büchern männlicher Autoren. Was dann einer Quote von acht Prozent entspricht. Oder anders gesagt: Frauen erklimmen in Deutschland häufiger eine politische Chefposition (immerhin noch eine Quote von zehn Prozent), als dass sie es in die erlauchte Riege der SZ-Klassiker schaffen.

Für deutschsprachige Schriftstellerinnen sieht die Bilanz der Münchner Zeitungsbibliothek sogar ganz trübe aus: Sie beläuft sich nämlich glatt auf null. Auch an den nächsten sechs Wochenenden, verrät einem schon jetzt die Internetseite freimütig, wird es neben dem üblichen „Jungs-Kanon“ aus Walser, Hesse, Grass und Co. keine Ingeborg Bachmann und keine Anna Seghers geben. Keine Christa Wolf und keine Marie Luise Kaschnitz. Und erst recht nicht die schon erwähnte Elfriede Jelinek, frisch gebackene Literaturnobelpreisträgerin hin oder her. Von ausländischen Schriftstellerinnen, die die Tradition der Moderne maßgeblich beeinflusst haben, wie Virginia Woolf, Sylvia Plath oder Simone de Beauvoir, mal ganz zu schweigen.

Sind jene Feuilleton-Redakteure (und womöglich auch Redakteurinnen), die für die inhaltliche Auswahl der SZ-Bibliothek zuständig waren, etwa allen Ernstes überzeugt davon, dass vor allem Männer das Zeug zum Literaturklassiker haben? Das kann man sich in Zeiten gemischter Schulklassen eigentlich nur sehr schwer vorstellen. Doch dass ein dermaßen unausgewogenes Geschlechterverhältnis umgekehrt lediglich mit Schwierigkeiten bei der Lizenzvergabe zu tun hat, ist ebenfalls kaum denkbar.

Die Bibliothekskonkurrenz der Bild-Zeitung jedenfalls, die man ansonsten nicht unbedingt als Vorreiter der Gleichberechtigung kennt, zeigt sich hier schon eher auf der Höhe der Zeit. Unter den 25 Bestsellern, die das Springer-Blatt seinen Lesern bis Ende März anbietet, finden sich nicht weniger als 12 Titel von Autorinnen. So schwer kann es mit einer Lizenzvergabe für ein Frauenbuch also wirklich nicht sein.

GISA FUNCK