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: Beschwingt-melancholisch: „Der Tango der Rashevskis“ von Sam Garbarski

Immer wenn der Familienfrieden ernsthaft gefährdet ist, wird Tango getanzt, und schon verträgt man sich wieder. Dieses Heilmittel der Rashevskis ist altbewährt. Aber zumindest einmal hat es nicht gewirkt, denn ein großer Riss geht durch die jüdische Familie, seit Rosa und Shmouel sich so zerstritten, dass er nach Israel auswanderte und sie mit beiden Söhnen in Frankreich zurückließ.

Das ist nun über vierzig Jahre her, aber Shmouel bleibt unversöhnlich. Selbst als sein Bruder Dolfo ihn in seiner Siedlung in der Wüste Sinai aufsucht und bittet, die inzwischen todkranke Rosa noch einmal zu sehen. Der orthodoxe Rabbi will mit seiner weltlich lebenden, tangotanzenden Mischpoke nichts mehr zu tun haben.

Diese hat sich scheinbar perfekt assimiliert und wirkt auf den ersten Blick wie eine typisch französische Vorzeigefamilie. Beide Söhne haben Karriere gemacht und man folgt eher den Ritualen des Pariser Bürgertums als den jüdischen Sitten und Gebräuchen. Rosa hat die Rabbis immer gehasst, und um so erstaunlicher ist es, als sich nach ihren Tod herausstellt, dass sie auf einem jüdischen Friedhof begraben werden will. Nach diesem späten Bekenntnis der sanften Matriarchin zur eigenen Kultur stellt sich für jedes Familienmitglied die Frage der religiösen Selbstfindung neu, und dabei kommt es zu teils dramatischen, teils komischen Verwicklungen, die in der Generation der Enkel besonders drastisch ausfallen.

So will die junge Nina plötzlich eine traditionelle jüdische Familie gründen und sich deshalb von dem netten Franzosen trennen, der um ihre Hand angehalten hat. Doch der Goy tritt aus Liebe zu ihr zum Judentum über, und lebt bald orthodoxer als irgendein anderer in der Familie. Ninas Bruder Ric, der in der israelischen Armee gedient hat, hat eine arabische Freundin und geht ins andere Extrem, wenn er mit ihr eine große, muslimische Hochzeit feiert, nachdem die beiden die Vorurteile auf beiden Seiten überwinden.

Solche jüdischen Familienportraits kennt man aus vielen Romanen und Filmen. Isaac B. Singer und Philip Roth haben sie geschrieben, Woody Allen immer wieder inszeniert, und als komödiantisches Salz in der Suppe sind sie inzwischen auch in Popcornfilmen aus Hollywood zu finden. Bisher schienen sie ein typisch amerikanisches Genre zu sein, aber in diesen Wochen kommen gleich zwei europäische Variationen in die Kinos. Dany Levy erzählt in „Alles auf Zucker!“ fast die gleiche Geschichte und ist dabei boshafter, radikaler und witziger. Der Humor von Sam Garbarski ist dagegen viel zärtlicher und immer etwas wehmütig.

Er ist in den Details genauer und man merkt, dass er hier auch von seinen eigenen Erfahrungen und seiner eigenen Familie erzählt. Jede einzelne Filmfigur ist komplex und liebevoll gezeichnet, und die einzelnen Erzählstränge entwickeln sich ganz natürlich aus den Charakteren heraus, während bei Levy immer der Plot mit seinen immer absurder werdenden Wendungen im Vordergrund steht. „Der Tango der Rashevskis“ steht da eher in der leisen Tradition der französischen Gesellschaftskomödie mit eleganten, schön angezogenen Menschen und geschliffenen Dialogen. Der Tango ist dabei nicht nur die zentrale Metapher, sondern gibt auch die Grundstimmung vor. Michael Galasso, der sich mit seiner Musik zu Wong Kar-Wais „In the Mood for Love“ einen Namen machte, hat für den Film ein verführerisches, zugleich beschwingtes und melancholisches Tangothema mit orientalischen Zwischentönen komponiert.

Mit Hippolyte Girardot fügt sich einer der Stars des französischen Kinos in das glänzend aufgelegte Ensemble der SchauspielerInnen ein, doch ein über 80-Jähriger stiehlt ihnen allen die Show: Natan Cogan verkörpert Rosas Schwager Dolfo so intensiv, warmherzig und charmant, dass alle Szenen, in denen er mitspielt, einen ganz eigenen Glanz erhalten. Als Überlebender der Vernichtungslager hat er nie von dieser Zeit erzählt, stattdessen ist er der die Wahrheit sprechende Narr der Familie – an dem deutlich wird, wieviel Weisheit und Lebensart unwiderbringlich mit der jüdischen Kultur in Europa verschwunden sind.

So ist er nach Rosas Tod der einzige, der noch Jiddisch kann, und in einer der zugleich witzigsten und berührendsten Szenen des Films versucht er der Familie die verschiedenen Bedeutungen des Zentralbegriffs „Mensch“ zu erklären, bis er nach vielen poetischen und mystischen Umschreibungen lakonisch beim „Herrenmenschen“ landet.

Wilfried Hippen

„Der Tango der Rashevskis“ läuft täglich um 16.45 und 20.15 Uhr im Cinema (Foto: siehe Kinoprogramm)