Streiks in Frankreich

Beschäftigte des öffentlichen Dienstes protestieren gegen Privatisierungen, Stellenabbau und für höhere Löhne

PARIS taz ■ „Zu zahlreich.“ Und: „Zu gut bezahlt.“ In vielen Variationen wiederholt die rechte Regierung in Paris diese Anschuldigungen gegen die rund 5 Millionen BeamtInnen. Damit rechtfertigt die Regierung den massiven Stellenabbau sowie die Kürzung von finanziellen und materiellen Mitteln im öffentlichen Dienst. Und damit versucht sie, den Neid der Beschäftigten des privaten Sektors zu schüren.

Zwei Jahre lang – seit ihrer Niederlage bei den Protesten gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und die Kürzung der Renten – haben die BeamtInnen mit dem Rücken zur Wand gestanden. In dieser Woche haben sie sich wieder in eine Offensive gewagt. Seit Dienstag haben die großen öffentlichen Dienste gestreikt: von der Post über die Elektrizitäts- und Gaswerke EDF-GDF, über die Eisenbahn SNCF bis zu Schulen und Kliniken.

Sie protestierten gegen Privatisierungen, die Schließung tausender Postbüros, Stellenstreichungen bei SNCF (3.000 in diesem Jahr) und in der Schule (mehr als 3.500 in diesem Jahr) und für höhere Löhne. Der Regierungspropaganda von überbezahlten BeamtInnen hielten die Gewerkschaften ihre Rechnung entgegen. Danach arbeiten nicht nur eine halbe Million BeamtInnen zum gesetzlichen Mindestlohn (rund 1.100 Euro), sondern haben sämtliche BeamtInnen seit 2000 durchschnittlich 5 Prozent ihrer Kaufkraft eingebüßt.

Für die Gewerkschaften, die gestern erstmals seit langer Zeit wieder gemeinsam demonstrierten, war der Streikaufruf ein unberechenbares Unternehmen. Tatsächlich war die Beteiligung relativ hoch. Stellenweise – insbesondere bei der Bahn, in den Schulen und in den Krankenhäusern – streikten über 50 Prozent der Belegschaften. Und das, obwohl es keine Streikkassen gibt. Selbst eine Möglichkeit, wonach besonders starke Streikbewegungen im Nachhinein auf dem Verhandlungswege versuchen konnten, eine Ausgleichszahlung von der Regierung für Lohnausfälle zu erhalten, gibt es nicht mehr. Die rechte Regierung hat sie abgeschafft.

Falsch eingeschätzt hat die Regierung auch die Sympathien ihrer Landsleute. Die meisten Franzosen nahmen die Nachteile in Kauf. Das Meinungsforschungsinstitut CSA ermittelte für das Boulevardblatt Le Parisien, dass 65 Prozent Verständnis für die Streiks haben. 15 Prozent sind dagegen. Regierungschef Jean-Pierre Raffarin hat dennoch erklärt, es gäbe keinen Verhandlungsspielraum. Am Jahreshaushalt für 2005 – inklusive der Kürzungen im öffentlichen Dienst – hält er ebenso fest wie an der von „La Poste“ – einer Umsetzung von europäischen Richtlinien in französisches Recht, worüber die Debatten in dieser Woche in der Nationalversammlung begonnen haben.

DOROTHEA HAHN