heidegger und heidi, schnappi schnappi schnapp von WIGLAF DROSTE
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Ich muss etwa zehn oder elf Jahre alt gewesen sein, als ich erwachsenen Menschen dabei zusah und zuhörte, wie sie sich zu sehr seltsamer Musik sehr merkwürdig bewegten und laut einen Text mitsangen, dessen Substanz sich meinem vorpubertären Bewusstsein nicht erschließen wollte. „Rucki-zucki“, sangen die Erwachsenen euphorisiert, „Rucki-zucki“, wobei sie die Arme in die Luft warfen und aufgepeitscht damit herumschlenkerten, „Rucki-zucki“, um dann, wie kollektiv an- und heimkommend, eine überraschende Behauptung aufzustellen: „Das ist der beste Tanz!“

Durch frenetische Wiederholung wurden alle berechtigten Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser höchst windigen These niedergemacht; nach einigen Durchgängen war die Spaßtanztruppe gemeinschaftlich verschworen in dem einen, gleichermaßen selbstbewusst vorgetragenen wie vollständig bewusstlosen Satz: „Rucki-zucki, das ist der beste Tanz!“ Mein kindliches Gemüt kollidierte harsch mit der Empfindung von Peinlichkeit; ich genierte mich für die von diesen Älteren entfalteten Aktivitäten. Warum taten sie das? Sollte das lustig sein? Wieso war es dann so grauenhaft? Und warum schämten sie sich nicht?

Einige Jahre später kam der „Ententanz“ zu traurigem Ruhm. Die Menschheit hat viele Verbrechen auf sich gehäuft; indem ich einer unter Animationsbeschuss stehenden Seniorengruppe zusah, die im Rhythmus von „Ta da da da da da daa, Ta da da da da da daa, Ta da da da dat ta ta ta taa“ herumhampelte, wurde ich Augenzeuge eines Hauptvergehens wider jede Menschenwürde. Wer zu so etwas fähig war, das lag auf der Hand, würde sich und anderen auch jede andere erdenkliche Grausamkeit zufügen. Von UN-Blauhelmeinsätzen war damals noch nicht die Rede; heute weiß man, dass nur ein entschlossener militärischer Einsatz der Menschheit auf die Sprünge hätte helfen können. Doch feige und populistisch versagte die Politik im Angesicht der Gemeinheit.

Das Ergebnis dieses Appeasements war die „Polonaise Blankenese“; es folgte die Reanimation des deutschen Schlagers. Erwachsene Deutsche ersaufen gern in dem Morast, den sie ihre Kultur nennen, und nehmen diesen Vorgang als fröhlichen Cliquenausflug ins Erlebnisbad wahr. Davongeschwemmt von einer Welle der Eigenblödheit in Zunamistärke, singen sie begeistert: „Schni schna schnappi, das kleine Krokodil.“ Das reimt sich prächtig auf debil, und genauso ist es auch: Die Deutschen sind übergeschnappit.

Ihre Kraft schöpfen sie aus der Freude am Betreten geistfreier Zonen – hier kann der Kopf vom Netz gehen, ohne dass es wehtäte. Aufgefüllt werden die enthirnten Schädel mit einem Gemisch aus Heidegger und Heidi. Es verhält sich wie mit dem kollektiven Anschauen des Films „Der Untergang“: Im nebelkerzenbefunzelten Raum kann Heimat erfühlt werden, Identität, Bei-sich-Sein; in schwüler Eigentlichkeit wird man eins mit sich und der Masse zugleich. Der gewalttätige Akt wird als angenehm empfunden von abgeschalteten Menschen, die dennoch weiter lärmen, zucken und sich zeigen. Sie mit dem nassen Handtuch zu erschlagen, gebieten Sinne und Verstand; der Gesetzgeber untersagt es.