Heilig trunken in der Nacht

Wie die Nazis ihre Kulturindustrie organisierten und ausdifferenzierten: Der Literaturwissenschaftler Christian Härtel hat eine lesenswerte Studie über Wilfrid Bade geschrieben, einem hochrangigen Beamten des Propagandaministeriums und Leiter der Abteilung „Zeitschriftenpresse und Schrifttum“

Bade produzierte gewinnbringend „nationales Schrifttum“Bade war von keinerlei größeren ethisch-moralischen Skrupeln geplagt

VON CARSTEN WÜRMANN

Am Anfang steht der Bericht vom Ende. Berlin, Mai 1945: Wilfrid Bade, hochrangiger Beamter des Propagandaministeriums, direkter Mitarbeiter von Hitlers Pressechef Otto Dietrich mit Zugang zum Führerhauptquartier, hofft in einem der verbliebenen Panzerwagen einer SS-Division aus dem umkämpften Regierungsviertel nach Norden hin zu entkommen. Die Geschütze der Roten Armee treffen den Wagen kurz hinter dem S-Bahnhof Friedrichstraße, die meisten der Insassen kommen im Artilleriefeuer um. Das Standesamt Berlin-Charlottenburg erklärt Wilfrid Bade 1950 offiziell für tot – aufgrund einer eidesstattlichen Erklärung, nach der er am 24. 12. 1945 in einem Kriegsgefangenenlager in Litauen gestorben sei. Der Sohn eines Nachbarn schließlich berichtet, Bade habe, laut seinem Vater, kurz vor der Kapitulation Selbstmord begangen. Ein ungewisses Ende, vielleicht ein Weiterleben im Verborgenen oder in Südamerika, ein Nazi als das Böse, als Wiedergänger oder tragische Figur – so inszeniert man erfolgreich NS-Geschichte. Wen scheren, wenn der Thrill stimmt, historische Seriosität und Wahrhaftigkeit?

Elegant, fast schon ironisch ist da die Variante, die der Berliner Lektor und Literaturwissenschaftler Christian Härtel in seiner Studie über Wilfrid Bade wählt. Unter dem Titel „Ein Untergang“ präsentiert er im Prolog die drei Versionen vom Tode Bades und skizziert die spannende Geschichte, die man daraus nach Art der Mantel-und-Degen-Historiografie machen könnte. Dann liefert er auf knapp 300 Seiten, versiert, akribisch recherchiert und ansprechend geschrieben, die erste wissenschaftliche Abhandlung, die sich detailliert mit einem der Akteure unterhalb der Ebene der großen Namen in dem für die NS-Herrschaft zentralen Bereich der Propaganda auseinander setzt. Die Machthaber waren gerade hier auf engagierte und kreative Mitarbeiter angewiesen – mit ferngesteuerten Marionetten oder allein willigen Erfüllungsgehilfen ließ sich keine ausdifferenzierte Kulturindustrie betreiben, die angenehm unterhielt und zerstreute, während Menschen massenhaft verfolgt und ermordet wurden und die Alltagswelt in Schutt und Asche versank.

Auch die NS-Diktatur verhandelte unter der Maßgabe von Rassenhass und Weltmachtstreben beständig ihre Herrschaftspraxis. Dabei taten sich vor allem für ehrgeizige akademische Nachwuchskräfte weite nazistische Spielräume auf, in denen sie das System maßgeblich und zu ihrem Vorteil gestalten konnten. So bestimmte Bade, der es in seiner zwölfjährigen Tätigkeit zum Ministerialdirigenten und Leiter der Abteilung „Zeitschriftenpresse und Schrifttum“ gebracht hatte, nicht nur den kulturpolitischen Rahmen, er sorgte mit seinen Reportagen, Sachbüchern, Romanen, Gedichten und Theaterstücken gleich selbst für die konkrete Umsetzung.

Bade wurde 1906 in Berlin geboren, besuchte das Gymnasium, machte Abitur. Das gesicherte Einkommen der Eltern, der Vater war Brandmeister bei der Berliner Feuerwehr, ermöglichte dem Einzelkind ein geisteswissenschaftliches Studium, das ihn anders als viele seiner Zeitgenossen nicht in die Arbeitslosigkeit, sondern in ein Beschäftigungsverhältnis an einer Landesbibliothek führte. Bades Berufsziel aber war Journalist und später wenn möglich „Dichter“. 1928 wechselt er zum Verlagshaus Scherl und wird im Jahr darauf als Korrespondent nach München geschickt. Nebenher arbeitet er für weitere Zeitungen, unter anderem die Essener Nationalzeitung. Der Kontakt zu Chefredakteur Otto Dietrich erwies sich dabei als entscheidend für Bades Karriere. Dietrich fungierte ab 1931 als Reichspressechef der NSDAP. Bade, seit den Wahlerfolgen bei der Septemberwahl 1930 in der Partei, organisierte ehrenamtlich in der „Reichspressestelle“ die Öffentlichkeitsarbeit für Hitler.

Als Goebbels am 1. April 33 sein Ministerium besetzt, ist Bade einer der jungen Parteigänger, von denen er erwartet, dass sie mit „Feuer, Begeisterung und unverbrauchtem Idealismus“ ihre neuen Aufgaben antreten. Bade enttäuschte nicht. Er formuliert Richtlinien für die künftige Kulturberichterstattung, schreibt seinem neuen Dienstherrn eine Biografie– „Der kleine Bade hat ein gutes Buch über mich geschrieben“ – und bewährt sich bei der Betreuung ausländischer Pressevertreter. Dienstreisen führen ihn durch halb Europa, und auch privat lebt er überdurchschnittlich: Winterurlaub in Österreich, eine geräumige Wohnung in Neu-Tempel-hof, Blick Richtung Flugfeld, mit Radio und Kühlschrank, ein Wochenendhäuschen sowie ein DKW-Cabriolet Modell 701, Typ Meisterklasse.

Finanzieren konnte sich Bade diesen Lebensstil, da er weiterhin als Autor tätig blieb. Mit Büchern wie „Die SA erobert Berlin“ und „Trommlerbub unterm Hakenkreuz“ produzierte er zunächst Gewinn bringend „nationales Schrifttum“. Bereits 1933 stand seinem Referentengehalt von monatlich 390 Mark ein Jahresverdienst aus schriftstellerischer Tätigkeit von 4.400 gegenüber – Tendenz steigend. Das Profitstreben Bades wie seiner Kollegen beförderte dabei die Entwicklung neuer Publikationsformen, in denen sich die Selbstdarstellung des Regimes ganz hervorragend mit Unternehmensinteressen verband. Die „Cigaretten-Bilderalben“ der Firma Reemtsma mit Titeln wie „Deutschland erwacht“ zeigen marschierende Parteianhänger, jubelnde Volksmassen und die dynamisch-entschlossenen Führer in eindrucksvollen Fotos. Die „Zigarettenbilder“ wurden wie in ein privates Fotoalbum eingeklebt – kollektive Erinnerungsalben für die Volksgemeinschaft und die auflagenstärksten Publikationen, an denen Bade beteiligt war.

Als ebenfalls lukrativ erwies sich das boomende Genre der technikbezogenen Sachbücher. 1938 erhielt er für ein Garantiehonorar von 10.000 Mark den Auftrag, ein Autobuch zu verfassen: „Das Auto erobert die Welt“. Die führenden deutschen Firmen stellten bereitwillig Materialien zur Verfügung und konnten Korrekturen und Wünsche einbringen. Eng verschränkt waren Werbung, Information und Propaganda auch in „Das Lied vom Stahl“, ein Kulturfilm über die Rüstungsproduktion eines Stahlunternehmens. Bade schrieb das Drehbuch. In der Eröffnungsszene marschiert ein Trupp Hitlerjugend durch eine Bergkulisse und singt Bades Lied vom Stahl: „[…] Jugend, Stahl und Eisen geweiht, / Unser Leben für Deutschland ein flammend Fanal, Jugend wir, aus Eisen und Stahl!“ Die Stahlproduktion erscheint harmonisch in die Berglandschaft eingebettet, Natur und Mensch werden als in ihrem Wesen von der forcierten Industrialisierung unbeeindruckt gezeigt. „Künstlerisch wertvoll“ und „volksbildend“ lautete das Prädikat der Filmprüfstelle.

Trotz dieser Erfolge strebte Bade nach noch Höherem. Er wollte künstlerisch Bedeutsames schaffen. 1936 erscheint der Gedichtband „Flamme und Wind“. Hemmungslos bedient sich Bade aus dem Skizzenblock für dichtende Pennäler: „Trunken sein in der Nacht ist heiliges Tun / Wir müssen singen wenn alle Stimmen ruhn.“

Seine Novelle „Jadran“ (1938) wird wohlwollend aufgenommen, wobei den Zeitgenossen klar war, dass man den obersten Kulturreferenten tunlichst nicht kritisieren sollte. Die Herausgabe von Anthologien und Feuilletontexten etwa in der NS-Renommierzeitung Das Reich festigen seinen Ruf als ernsthafter Autor, ein weiterer Fortsetzungsroman erscheint unter Pseudonym: „Schwarze, Weiße, Menschenaffen. Urwald-Abenteuer mit dem Zauberkasten“ von Kai Steffen.

Es läuft gut für Bade: Im Ministerium wird er befördert, die Nebeneinnahmen fließen. 1942 bezieht er, frisch geschieden, mit seiner Lebensgefährtin eine luxuriöse Wohnung in Charlottenburg, die vorherige Mieterin war vermutlich kurz zuvor deportiert worden. Richtig genießen konnte Bade das neue Glück allerdings nicht. Als Reporter einer SS-Kriegsberichterabteilung musste er in die Ukraine. Obwohl eigentlich unabkömmlich, gehörte ein kurzer Fronteinsatz für einen Mann in seiner Position zum guten Ton. Bade gelang es, ihn auf wenige Wochen zu beschränken, die er publizistisch allerdings nachhaltig ausschlachtete. Seine Kriegsreportagen erschienen im Reich und im Völkischen Beobachter, Bertelsmann wollte sie als Buch herausbringen, und auch sein Gedichtband „Tod und Leben“ (1943) fand breite Anerkennung.

Während das Kriegsende immer näher rückt, arbeitet Bade unter Hochdruck an einem bleibenden, ultimativen Werk: ein Drama über den heldenhaften Kampf einer SS-Panzerdivision. Anfang März 1945 schickt er es an Heinrich Himmler.

Das interne SS-Gutachten, das innerhalb weniger Tage vorlag, konnte in diesem Werk allerdings nicht den „zeitlos überragenden dichterischen Wurf“ erkennen. Das Drama ist nicht überliefert, genau wie ein großer Teil seiner schriftstellerischen Hinterlassenschaft. Um diese sicher für die Nachwelt zu bewahren, hatte Bade sie auf den Lkw verladen lassen, der im Februar 1945 auf seine Anweisung hin den Nachlass Gerhart Hauptmanns von Schlesien über Potsdam in die Oberpfalz brachte. Dort beschlagnahmten amerikanische Truppen die Ladung und bewiesen literarischen Sachverstand. Bades Papiere wurden weitgehend verbrannt. Wilfrid Bade beging, so die wahrscheinlichste Version, kurz vor Kriegsende Selbstmord. Wenn dies aus Angst vor dem geschah, was kommen würde, war es eine voreilige Entscheidung gewesen. Flexibel, erfolgs- und gewinn-orientiert, stets innovativen, ra-tional-sachlichen Lösungsstrategien zugeneigt und von keinerlei größeren ethisch-moralischen Skrupeln geplagt, hätte er auch in anderen Systemen noch erfolgreich wirken können.

Christian Härtel: „Stromlinien. Wilfrid Bade – Eine Karriere im Dritten Reich“. be.bra wissenschaft verlag, Berlin 2004, 288 S., 30 Abb., 24,90 €