Was glitzert und glänzt

Terror in Disneyland: Constanza Macras inszeniert „Big in Bombay“ im Haus der Berliner Festspiele

Indien und die Indianer: Schon die Sprache verrät, dass Kulturkontakte bisweilen auf einem gewaltigen Missverständnis beruhen. In „Big in Bombay“ stattet die Regisseurin und Choreografin Constanza Macras zwei Tänzer mit langen Zöpfen aus, die Teil eines Indianer-Kostüms sind. Dies geschieht im Gestus einer Initiation. Ein Trompeter bläst ein Signal, das klingt bekannt, doch bevor man sich noch fragen kann, was jetzt geschieht, sind alle 17 mitwirkenden Tänzer, Schauspieler, Musiker und Sänger in Bewegung. Kaum weiß man noch, wohin man schauen, was man beobachten soll. Das Pärchen oben auf dem Dach des Glaspavillons, das sich schon alle Kleider vom Leib gerissen hat und wild durch stilisierte Stellungen des Sex tobt? Den zähnebleckenden Tanzlehrer, der der Show eines anderen Paares in bewegungsverhindernden Kostümen brüllend in die Parade fährt? Den Typ im Eisbärenkostüm? Die drei Gespenster in Stoffsäcken? Erst wenn das ganze Ensemble sich zur indischen Pop-Musik zusammenfindet und die Hand-, Kopf- und Augenbewegungen eines indischen Tanzes erotisierend funkeln lässt, findet die Inszenierung einen Fokus. Tanzt, tanzt bloß so weiter, wünscht man sich und weiß doch, dass gleich wieder alles zerbröselt.

Action! Action bis zum Anschlag. Fastfood für Augen und Ohren, Übersättigung vor Befriedigung. An sich raffen, was glitzert und glänzt. Das gehört zum System Macras wie die überzähligen Taschen zur Cargo-Hose. Den Ruf, zurzeit die aufregendste Choreografin in Berlin zu sein, hat sich die argentinische Künstlerin mit Stücken erworben, die von der eklektizistischen Verschwendung leben. Tatsächlich ist das Verschieben von Codes, das Verkaufen von Bedeutungen, das Vertauschen von Kontexten die Bewegung, aus der sich ihre Stücke speisen.

„Big in Bombay“ ist ihre bisher größte Produktion, mit Beteiligung der Berliner Festspiele, der Schaubühne und der Sophiensäle. Für „Big in Bombay“ ist sie mit ihrer Compagnie Dorky Park nach Bombay gereist im Dienste der Bollywood-Forschung. Sie haben Unterricht in Musik und Tanz genommen und an Filmcastings teilgenommen. Sie haben Schönheitssalons und Disneyland besucht und sich mit Disney-Masken in den Verkehr der Großstadt gestellt. All das erzählen uns Videos, die Teil der Uraufführung von „Big in Bombay“ im Haus der Berliner Festspiele sind. Ein touristischer Blick, der gar nicht behauptet, unter die Oberfläche zu dringen, der aber auf der Oberfläche schon so viele unterschiedliche Zeichen entdeckt, dass eine neue Erzählung über Fremdheit und Verführung entsteht.

Sich zum Rausch zu bekennen, der Verführen über Verstehen setzt, ist eine Seite der Performance. Eine andere ist die Angst, Verunsicherung, Verletzbarkeit. Wird sie umso größer, je mehr die Zeichen und Codes, über die eine Gemeinschaft sich erkennt, zu Vagabunden werden? Eine Frau erzählt von ihren Ängsten auf Reisen, von Fischvergiftungen, Zugentgleisungen, Terrorangriffen. Beim Auftritt eines Tänzers werfen sich regelmäßig alle zu Boden, aber erst, wenn er in einer der letzten Szenen als maskierter Terrorist auftritt, weiß man, warum.

Zweimal endet die Performance mit solchen berührenden und erschreckenden Bildern: einmal vor der Pause, wenn es alle nach und nach zu Boden reißt und dann einer die liegen gebliebenen Körper einsammelt und auftürmt. Dann sind die medialen Bilder realer Unglücke ganz schnell da. An dieser Szene hatte Macras schon gearbeitet, bevor der Tsunami Südostasien heimsuchte, aber natürlich hat die Flutwelle die Bedeutung der Bilder verändert. Auch am Schluss ist diese Assoziation wieder da, wenn im Glaspavillon auf der Bühne ein Unwetter losbricht und das aggressive Handgemenge, in dem die Performer eben noch wie eine Meute über ein Opfer herfielen, sich in einen Kampf gegen die Elemente transformiert.

Doch davor hat es schon ganz andere Transformationen gegeben. Da wurde, was als Inszenierung eines terroristischen Überfalls begann, zum Auftakt einer Popnummer, radical chic, in Stiefeln, Patronengurt und Spitzenbustier. Gewalt als Vorspiel, Angst zur Steigerung der Lust: Macras führt diese Mittel aus der dramaturgischen Trickkiste des Mainstreams vor wie Kasperlefiguren. Das ist kein Impetus, der der Konsumkultur die Unverhältnismäßigkeit ihrer Mittel vorwerfen würde; eher einer, der die Macht der großen Gesten verramscht und sie klein und lächerlich aussehen lässt. Und doch nicht davon lassen kann, sich wieder und wieder in ihnen produzieren zu wollen.

KATRIN BETTINA MÜLLER