Die Tragik des Comedians

Das Schauspiel Hannover lässt sich von den Londoner West-End-Stars Richard Thomas undStewart Lee das Musical „Stand up“ schreiben. Doch ihr englischer Biss verflacht hier zu Witzeleien

VON KLAUS IRLER

Der Ruf des skandalträchtigen geht den Autoren Richard Thomas und Stewart Lee voraus, die für das Schauspiel Hannover ein neues Musical geschrieben haben. Bekannt wurden sie in London mit „Jerry Springer – The Opera“. Über 47.000 Beschwerden gingen Anfang Januar bei der BBC ein, als bekannt wurde, dass der Sender eine Aufzeichnung des Stücks im Abendprogramm laufen lassen wollte: Ein homosexueller Jesus in Windeln und zudem rund 500-mal das Wort „fuck“ auf der Bühne. Die Christian Voice veröffentlichte auf ihrer Website Namen und Adressen leitender BBC-Funktionäre und reichte nach der Ausstrahlung Klage wegen Blasphemie ein. Es gab Morddrohungen gegen den BBC-2-Controller Roly Keating und Fernsehdirektorin Jana Bennett. Die BBC aber hielt durch und sendete.

In Londons West End dagegen wird „Jerry Springer – The Opera“ seit Monaten als hippes Musiktheater gefeiert, und das interessierte Winfried Schulz, Intendant des Schauspiel Hannovers. Oper und Musical flossen zusammen zu einem sarkastischen Kommentar auf die amerikanische Talkshow „Jerry Springer“, ein radikal verkorkstes Talkshow-Format, in dem möglichst fiese sexuelle Probleme schicksalsgebeutelter Gäste an das Publikum verfüttert werden. Wilfried Schulz hätte „Jerry Springer – The Opera“ gern an sein Haus geholt. Weil das aber aus rechtlichen Gründen nicht ging, bestellte er bei den „Jerry Springer“-Autoren Richard Thomas und Stewart Lee einfach ein neues Stück: „Stand up“ konnte somit als Uraufführung im hannoverschen Ballhofeins präsentiert werden, beworben mit dem ambivalenten Ruhm des West-End-Erfolgs.

Das Thema von „Stand up“ ist das Genre Comedy als Live-Kunst im Pub an der Ecke. Nachgebaut ist die schlichte Bühne des Londoner Comedy-Clubs „Ha Ha Hole“. Auf dieser lassen nach und nach mehr oder weniger abgetakelte Comedians ihre Texte ab, und zwar als Sprechgesang zur fast permanent durchgehenden Musik: „Stand up“ ist Musiktheater mit einer Partitur aus Pop und Klassik, intoniert lediglich von zwei Klavieren. Eine Geschichte allerdings gibt es nicht. „Stand up“ ist ein Nummernprogramm – zusammengehalten von dem tränensackbehangenen Moderator Harry Stophanes (Roland Renner). Der hat erst mal die undankbare Aufgabe, die Erwartungen zurechtzurücken: „Es ist kein hochwertiges Theater. Es ist ein Comedy-Club.“

Da ist also beispielsweise David Allens (Bernd Geiling), der so ganz am Ende ist als Spaßmacher und sich selber hasst für Sätze wie „Hunde sind fürn Arsch. Ich bin ein Katzentyp.“ Oder Mags (Adey Grummet), die ihrer Partnerin Milly (Loré Lixenberg) erklärt: „Den Weihnachtsmann gibt es nicht, weil er tot ist. Von Rentieren zertrampelt.“ Oder der Chor der Zuschauer, der nach der Pause singt: „Jetzt fängt sie an, die zweite Hälfte, sie kommt gleich nach der ersten.“

Alles ganz harmlos, ganz platt, und auch wenn es unter die Gürtellinie geht, regt sich nicht viel: Die Plattitüde ist schließlich Programm. Regisseurin Sabine Boss inszeniert sie als Gradwanderung zwischen „nur flach“ und „flach mit tragischer Dimension“ – gelacht wird wechselweise über die Witze selbst oder über die Tragik eines Comedians, dessen Witze ins Leere gehen. Oder aber, und das ist der Kern des Konzepts von Komponist und Autor Richard Thomas: Gelacht wird, wenn Text und Musik sich reiben.

Thomas bedient sich gleichermaßen bei Bach wie bei Gershwin, hat Kurt Weill gehört und Sondheim. Sinnfreien Klamauk kombiniert er mit einer Arie, Alltagsplattitüden überzeichnet er durch Musicalpathos. Doch zu unverbindlich sind die Witzeleien, zu charakterschwach die Komiker, dass die virtuosen Kunstgriffe der Musik das wettmachen könnten. Das Experiment, ein neues Musiktheaterformat mit kritischen Zügen aufzulegen, ist misslungen.

Dem Publikum bleibt nur die Wahl zwischen Amüsement über den Brechstangen-Humor und peinlich berührtem Schweigen. Wann ist Klamauk schmerzhaft misslungene Anbiederung, wann gelungenes Entertainment? Die Frage steht im Raum und bleibt unbeantwortet. Immerhin: Der Comedy-Club darf das Stück nicht überleben, am Ende kommt der Tod in Gestalt einer schwarz gewandeten Sopranistin. Und aus dem Jenseits watscheln die Pinguine auf die Bühne.