daumenkino
: „Die Grauzone“

Wieder eines dieser menschelnden und eingängigen Holocaust-Dramen, die den Zuschauer an die Hand nehmen und die einzelnen Etappen der Massenvernichtung vorführen. In Tim Blake Nelsons „Die Grauzone“ werden nackte Leiber in den Ofen geworfen, brennen unentwegt die Schornsteine, durchquert immer wieder ein Zug die schöne Landschaft. Einmal fährt die Kamera in einen Waggon und zeigt das Gesicht eines süßen Jungen in Großaufnahme, verweilt bei einer alten Frau, die ahnungslos lächelt. Zwischendurch kommentiert Oberscharführer Muhlsfeldt, gespielt von einem ordentlich gescheitelten Harvey Keitel, das Geschehen.

Fein säuberlich dekliniert sich Nelson durch das Abc des Holocaust-Dramas mit seinen fast schon klassisch zu nennenden Versatzstücken. Offenbar ist das Konzentrationslager ein Schauplatz geworden, in dem sich das Kino mit aller Selbstverständlichkeit eingerichtet hat. Die Ziegelschornsteine, die Leichen und sogar der Gang in die Gaskammer – emsig und manchmal auch im Videoclipformat reiht man die bekannten Signifikanten der Todesfabrik aneinander und produziert doch nur sinnentleerte Synopsen eines Schreckens, von dem nicht einmal eine Ahnung ins Bild gelangt.

Im Mittelpunkt von Nelsons Film steht ein so genanntes Sonderkommando, das die Körper entsorgen muss. Es handelt sich um ungarische Männer, die in den Gaskammern arbeiten, um den eigenen Tod hinauszuschieben, und für ihre Verrichtungen in abgelegenen Baracken und mit ordentlicher Verpflegung untergebracht werden. Der Film zeigt sie als zynische und getriebene Truppe voller Selbstverachtung und verleiht ihnen nebenbei den verwegenen Touch einer Wild Bunch mit bewährter Haudegentypologie. Nelsons Film rekonstruiert die letzten Tage eines Aufstands, den dieses Sonderkommando 1944 in Auschwitz-Birkenau plante und der blutig niedergeschossen wurde. Dabei bezieht sich „Die Grauzone“ hauptsächlich auf den 1946 geschriebenen Augenzeugenbericht von Miklos Nyiszli „Ich war Arzt in Auschwitz“ sowie auf Tagebucheintragungen von Mitgliedern des Sonderkommandos, die später gefunden wurden.

Die Männer wollten das Krematorium zerstören und damit die Maschinerie der Vernichtung angreifen, deren Teil sie längst geworden waren. In „Die Grauzone“ befindet sich das Konzentrationslager also schon im Ausnahmezustand, da die Hauptfiguren mit der Planung des Aufstands beschäftigt sind. Damit haben ihre Handgriffe jene erschreckende Alltäglichkeit verloren, die darzustellen die eigentliche Herausforderung wäre.

Nelsons Film überschreitet niemals die Grenze des Zumutbaren. Einmal hört ein Mitglied des Sonderkommandos die Todesschreie aus der Gaskammer. Diskret blendet der Film nach ein paar Sekunden ab. ANKE LEWEKE