herr tietz macht einen weiten einwurf
: Weh dir, Ticketing-Management!

FRITZ TIETZ über das beklagenswerte Fehlen jeglichen Sportsgeistes bei der Vergabe der Eintrittskarten für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006

Fritz Tietz ist 46 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport

Da war ich wohl etwas voreilig, als ich meiner Tochter, 12, beim gemeinsamen TV-Gucken der letzten Fußball-EM mein großes Vater-Ehrenwort gab, uns „auf jeden Fall“ zwei Stadion-Tickets für mindestens ein Spiel der in Deutschland stattfindenden Weltmeisterschaft zu besorgen. Ich ahnte schon, dass das kein so leichtes Unterfangen werden könnte. Also dampfte ich mein Versprechen gleich etwas ein, indem ich die Tochter darauf hinwies, dass es unter Umständen nur ein Vorrundenspiel und vermutlich auch nur eins ohne deutsche Beteiligung sein könnte, für das ich Karten ergattern würde. Doch denkste. Davon wollte die Tochter nichts hören. Sie wünschte gefälligst ein Deutschlandspiel zu sehen, und am liebsten natürlich das Finale in Berlin, wie selbstverständlich davon ausgehend, dass das die Deutschen erreichen. Was soll man dazu sagen? Erfreut einerseits, dass sich die Brut überhaupt interessiert, andererseits durchaus gerührt auch über das unerschütterliche Vertrauen, das das Kind in die deutsche Mannschaft setzte, sagte ich also in etwa das hier: „Na, mal sehen, was sich da machen lässt.“

Das klang, so hoffte ich, vage genug und sollte alle Eventualitäten einschließen, inklusive auch die schlechteste aller Möglichkeiten, dass es trotz aller Anstrengungen nichts wird mit einem Ticket. Bei meiner Tochter allerdings kam meine eher ausflüchtig gedachte Formulierung wie eine felsenfeste Zusage an, wie ich leider in den folgenden Monaten und mit zunehmender Nervosität feststellte. Immer wieder fragte sie zwischendurch an, ob ich schon die Karten hätte. Spätestens aber, als ich sie zufällig ihrer Freundin berichten hörte, dass sie nächstes Jahr auf keinen Fall „mit auf Kulis Konfi-Freizeit“ (also mit Pastor Kuhlmann auf die zeitgleich mit der Weltmeisterschaft anberaumte Konfirmanden-Freizeit) fahren könne, weil sie da schon mit Papa das Finale in Berlin gucken werde, war mir klar, dass ich mich wohl ernsthaft würde bemühen müssen. Und so begann ich mich seelisch darauf einzurichten, mittenmang einer ostzonenartig langen Warteschlange fußballverrückter Fans stundenlang vor einer Fifa-Vorverkaufsstelle zu stehen oder wegen des großen Andrangs sogar tage- und nächtelang dort biwakieren zu müssen, um frierend und darbend der für Februar 2005 avisierten Eröffnung des Weltmeisterschafts-Ticket-Verkaufs entgegenzuharren – und es also wenigstens zu versuchen.

Doch abermals: Denkste! Nicht im gleichsam sportlichen Wettkampf des Ausdauer, Zähigkeit und Stehvermögen voraussetzenden Warteschlangenstehens soll man an die begehrten Karten gelangen. Schnödes Lostrommelglück wird darüber entscheiden. So hat es das WM-Organisationskomitee letzten Montag bekannt gegeben. Damit wird freilich jedwedem Sportsgeist Hohn gesprochen, dem sich aber gerade und erst recht der Ausrichter eines der weltgrößten Sportereignisse verpflichtet fühlen sollte.

Nicht mein persönlicher Einsatz, Ehrgeiz und Einfallsreichtum entscheidet darüber, ob ich einer WM-Begegnung live im Stadion beiwohnen darf, sondern bloß ein doofer Zufallsgenerator, der aus der Masse aller bequem übers Internet eingegebenen Kartenwünsche die WM-Zuschauerschaft ermittelt. Was für ein Quatsch ist das, wenn sich so theoretisch jeder Hinz und sogar Kunz einen Tribünenplatz zu sichern imstande ist? Würde man diesen Vergabemodus auf den des WM-Turniers übertragen, müssten sämtliche Begegnungen per Münzwurf entschieden werden. Zahl oder Adler; und Liechtenstein wird Weltmeister.

Also habe ich gestern meiner Tochter gegenüber behutsam andeuten müssen, dass es leider nicht in meiner Macht stehe, ein WM-Ticket für uns zu bekommen, sondern allein das Schicksal entscheidet. Was sie kurz und knapp so kommentierte: „War klar!“ Unüberhörbar schlug mir Vaterverachtung aus diesen zwei Worten entgegen. Ihr Alter, so gab sie mir damit zu verstehen, ist nicht mal in der Lage, ihr, obwohl versprochen, eine lausige Eintrittskarte zu besorgen. Weh dir, Ticketing-Management! Falls das nicht klappen sollte mit einem WM-Ticket. Diese Schmach vergess ich dir nie.