Statt der Angst

Gegen Rechtsextreme tue Zivilcourage not, sagt man. In Kiel zeigt sich, dass es damit im Ernstfall nicht so weit her ist: Stadt und Polizei empfehlen, die City wegen Samstags-Demos zu meiden

Von Benno Schirrmeister

Erst einmal das: Ob Polizei und die Stadt Kiel dort lebenden Muslimen empfehlen, die Zentrum-Moschee am Samstag zu meiden, ist nicht bekannt. Fest steht allerdings, dass die Neonazis unter dem Motto „gegen Multikulti“ am Gotteshaus im Königsweg vorbeimarschieren, am Sonnabend, möglicherweise zur Gebetszeit – vielleicht in Kompensation dafür, dass ihnen der Weg durchs Migrantenviertel Gaarden untersagt wurde. „Den Planern der Route war das bekannt“, heißt es seitens der Polizei-Inspektion, „das ist alles wohl bedacht worden.“ Also ist davon auszugehen, dass das Grundrecht der freien Religionsausübung am Samstag in Kiel nicht beeinträchtigt wird. Das ist beruhigend.

„Angst vor Gewaltdemos“ titelte gestern die lokale Presse, und rief vorsorglich den „Ausnahmezustand“ aus. Verschreckt gibt sich auch die Stadtverwaltung ob der drei angemeldeten Kundgebungen: Gegen die Nazi-Demo protestiert einerseits das lokale Bündnis „Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus“ – unterstützt von der Antifa –, andererseits hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zum öffentlichen Kirchgang vom Landeshaus bis Sankt Nikolai aufgerufen – drei Stunden, bevor die Rechtsextremisten die City besetzen. Dann aber heißt’s: Nichts wie weg aus der Fußgängerzone. Das ist zumindest der offizielle Rat: „Wir haben“, so der Sprecher von Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz (CDU), „gemeinsam mit der Polizei die Empfehlung gegeben, den Innenstadtbereich zu meiden.“

Das ist befremdlich, denn selbst wenn er beteuert, das sei gar kein Zurückweichen, hat er doch keine andere Deutung parat: Kiel ist Einkaufs-Zentrum für die ganze Region bis Eckernförde, samstags ist die City stets proppenvoll und die Bauern aus dem Umland bieten auf dem Exerzierplatz Grünkohl und Kartoffeln an – in der Regel bis etwa 14 Uhr, diesmal hat der Wochemarkt jedoch schon um 12 Uhr beendet zu sein. Auf Weisung der Stadt, weil dann 500Rechtsextreme dort marschieren. „Gesicht zeigen“ hieß einmal, das ist gar nicht lange her, eine ziemlich hochrangig angesiedelte Kampagne. Mit Zivilcourage sei auf nationalistische Umtriebe zu reagieren. Zivilcourage. Fein, dass man das in Kiel so sehr verinnerlicht hat.

Zugegeben, die Nervosität hat historische Gründe: 1999 lieferten sich Nazis und Teile der Antifa in Kiel veritable Straßenschlachten. Von beiden wird der Ungeist dieser Ereignisse auf Mobilisierungs-Homepages im Internet beschworen. Darauf bezieht sich der Tipp von Verwaltung und Polizei. Ach, die beiden, sie dürfen natürlich glauben an was sie wollen, das ist ein Grundrecht, und notfalls halt an Geister. Aber diese zu bekämpfen, indem man die Furcht vor ihnen noch schürt, scheint keine sinnvolle Strategie.